Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
Amazonen die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen. Seitdem führte Isen einen Seher zu ihnen, meist stammte er von einem Schiff, das vor Tehunas Küste gesunken war. Auch Enos hatten sie wie Treibgut am Strand gefunden, andere waren freiwillig gekommen. Der Seher sollte sie vor Naturkatastrophen und anderen Schicksalsschlägen warnen. Akrissa war davon überzeugt, dass die Amazonen die Visionen eines Mendarners nicht brauchten. Es war nur eine Tradition, dass jeder Königin die Zukunft vorhersagt wurde. Der Tempel schien ebenfalls diese Meinung zu vertreten. Ansonsten wäre eine Isen-Priesterin anwesend gewesen, aber Akrissa war mit Enos und seiner Dienerin alleine. Niemand würde erfahren, was hier gesprochen wurde. Das ist alles Unsinn , dachte Akrissa und lächelte grimmig. Schließlich hatte der Seher Königin Neria nicht vor ihrem Tod gewarnt.
„Weswegen bist du gekommen?“ Enos’ Stimme klang verklärt, und Akrissa erkannte, dass der Seher in Trance war.
„Ich bin gekommen, um zu erfahren, was ich dem Reich bringe.“
„Die Nacht hat begonnen, und eine graue Wölfin führt ihr Rudel durch den Wald“, flüsterte Enos, und Akrissa fragte sich, ob sie die graue Wölfin war. „Die Wölfe finden eine Spur, folgen ihr und bei Sonnenaufgang erlegen sie einen prächtigen Hirsch. Von der langen Jagd sind die Wölfe erschöpft und legen sich schlafen, ohne den Hirsch anzurühren. Während sie ruhen, tauchen Steppenwölfe auf, um die Beute zu stehlen.“
Der Seher verstummte, und Akrissa fuhr sich nachdenklich über die Lippen. Der erste Teil der Vision hatte ganz gut geklungen , dachte sie.
Plötzlich sprach Enos weiter: „Ich sehe einen jungen Wolf, sein Maul ist voller Blut, und neben ihm liegt die graue Wölfin tot in einer roten Lache.“
Akrissas Herzschlag setzte einen Moment aus.
„Wer ist der junge Wolf?“, wollte sie wissen.
„Die tote Wölfin und er haben das gleiche Blut.“
Akrissa erstarrte, denn sie hatte keine Tochter, nur einen Sohn hatte sie geboren, und den Traditionen der Amazonen entsprechend hatte sie ihn zu seinem Vater gebracht.
Der Seher erwachte aus seiner Trance, und Akrissa wandte sich ab. Sie gab nicht viel auf Prophezeiungen, aber diese besagte ihren Tod. Vielleicht sollte sie die Worte ernst nehmen.
„Ich habe die Königin gewarnt“, sagte Enos, und Akrissa wandte sich ihm zu.
„Wovon redest du?“
„Ich sah zwei Stuten auf einer saftigen Weide. Die eine Stute war wunderschön, die andere hatte statt Fell die Schuppen einer Schlange. Der Vormittag schritt voran, und beide gebären Fohlen. Während das schuppige Pferd seins wegtrat und es in den Wald flüchtete, nährte die Fuchsstute ihres. Plötzlich biss das schuppige Pferd die andere Stute und sie starb. Verschreckt lief das Fohlen davon. Die Bedeutung der Vision ist jetzt klar, nicht wahr?“
Akrissa blickte zu der stummen Dienerin, die die Worte notierte. Erschrocken ließ diese den Stift fallen, als die Kriegerin mit grimmigem Gesicht auf sie zukam. Akrissa nahm ihr das Papier weg und gab Lara ein leeres Blatt zurück.
„Schreibe die Vision bis zu dem Satz „Bei Sonnenaufgang erlegen sie einen prächtigen Hirsch“ und vergesse, was du gehört hast. Wenn irgendjemand von diesem Gespräch erfährt, wirst du dir wünschen, nie geboren zu sein. Hast du mich verstanden?“
Die Dienerin nickte und hob ihren Stift auf. Mit zitternder Hand schrieb sie das Befohlene nieder. Nachdem Akrissa die gekürzte Vision entgegen genommen hatte, drehte sie sich zu Enos um.
„Und du, alter Mann-“
„Glaubst du, du könntest mich einschüchtern?“, fragte der Seher. „Ich habe dir einen Blick in die Zukunft gewährt, und sie wird sich erfüllen.“
Nein, das werde ich verhindern , dachte Akrissa und verließ den Seher, um zu ihren Gemächern zu gehen. Ihre Dienerin verbeugte sich, als sie eintrat. Akrissa beachtete sie nicht und setzte sich an dem Schreibtisch. Erst nachdem sie die Vision versiegelte hatte, sagte sie: „Lass das sofort von einem Boten zur Hohepriesterin Ciara bringen und schicke nach Iben.“
„Jawohl, Fürstin.“
Die Dienerin nahm die Rolle und verschwand eilig. Nach einiger Zeit klopfte es.
„Komm herein, Iben.“
Iben trat ein. Sie war eine hochgewachsene Amazone mit kurz geschnittenem, blondem Haar, und da Akrissa es hasste, zu jemandem aufzuschauen zu müssen, bat sie Iben, sich zu setzen.
„Meine Herrin, was kann ich für Euch tun?“
„Am Asol-Gebirge gibt es ein Dorf namens Kendon, erkundige dich dort, wo
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