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Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)

Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)

Titel: Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Düringer , Clemens G. Arvay
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nachgehe, weiterhin am selben Ort lebe und mit denselben Menschen Kontakt habe?“ Nachdem ich mir überlegt hatte, was ich will, was also mein Ziel in der Zukunft ist, musste ich mich fragen: „Wie komme ich dorthin?“ Da fiel mir Folgendes ein: Wir lebten in den Siebzigerjahren im zehnten Wiener Bezirk auf 45 Quadratmetern, zu dritt, mit Toilette am Gang, ohne Badezimmer, Fernsehgerät, Telefon oder Auto. Anfangs gab es keine Supermärkte, Computer hat es damals ebenfalls nicht gegeben, Mobiltelefone sowieso nicht. Mein Vater bezahlte nur mit Bargeld, es gab ja nichts anderes. Dieses Leben war völlig anders, als man es heute führt. Wenn ich dieses Leben heute jemandem beschreibe – 45 Quadratmeterzu dritt, Toilette am Gang und so weiter –, dann sagt der: „Das ist Armut, eindeutig Armut. Also das ist ja nicht einmal mehr der niedrigste Lebensstandard. Das ist ja richtig arm!“ Wir waren aber nicht arm, überhaupt nicht. Wir waren weit davon entfernt, arm zu sein. Es war ein Leben, in dem mir nichts gefehlt hat, ebenso wenig wie meinen Eltern. Mein Vater saß nicht zu Hause und dachte sich: „Wenn ich bloß ein Mobiltelefon hätte!“ Der Wunsch nach einem Handy war nicht da, weil es so etwas einfach nicht gab. Es war nicht notwendig. Mein Vater dachte sich auch nicht: „Wäre das super, wenn ich nicht mehr mit Bargeld bezahlen müsste!“ Er hätte sogar eher Angst davor gehabt, weil man ohne Bargeld viel weniger Kontrolle über die Ausgaben hat. All diese Eindrücke notierte ich mir, kramte die Werkzeuge der Siebzigerjahre aus meinen Erinnerungen hervor und versuche jetzt, 40 Jahre später, es wieder so zu machen wie damals.
    Wie gesagt, es handelt sich um ein Experiment, das auch enden könnte, indem ich sage: „Nein, ich höre auf, das ist Unsinn und bringt gar nichts.“ Ich startete mein Vorhaben im Jänner 2013 und mittlerweile ist ein halbes Jahr vergangen. Ich weiß inzwischen, dass es kein Experiment mehr ist, sondern sich daraus ein neuer Lebensabschnitt entwickelt hat; ein Weg, den ich wohl noch lange gehen werde. Es ist genau so, wie ich schon sagte: Mit einem Experiment im Leben hört man irgendwann entweder auf und es scheitert, oder es wird Normalität. Genau an jenem Punkt bin ich jetzt, an dem ich sage: „Ich wüsste nicht, warum ich wieder einen Schritt zurück machen sollte.“ Ich möchte jetzt weiter machen und mir bald die nächsten Ziele setzen.“
    Clemens G. Arvay: Wenn du den Status quo mit deinen Erinnerungen an deine Jugendzeit in den Siebzigerjahren vergleichst: Was hat sich hauptsächlich verändert?
    Roland Düringer: Ich glaube, was sich seit damals verändert hat und das ist es, was eigentlich Angst macht –, ist vor allem die Geschwindigkeit. Es haben sich dadurch Rahmenbedingungen für uns alle verändert. Der Mensch selbst hingegen hat sich, so denke ich, kaum verändert. Wir sind Leben, das leben will, inmitten von anderem Leben, das ebenfalls leben will. Das, was wir sind, hat sich wohl seit der Steinzeit nicht verändert. Der Mensch wird geboren, der Mensch wächst heran, macht seine Erfahrungen, wird irgendwann geschlechtsreif, der Mensch muss sich ernähren, braucht Schutz, Wärme und soziale Kontakte. Und ja, irgendwann einmal wird der Mensch krank und das Leben weicht wieder aus ihm. Das klingt einfach, ist es aber, wie wir ja alle wissen, natürlich nicht.
    Wer von uns hätte denn ohne Fremdversorgung noch Überlebenschancen? In den früh industrialisierten Ländern sind es sicher sehr wenige. Um die Fremdversorgung nicht zu verlieren, die Zoowärter also nicht zu vergrämen, muss man sich eben an die Rahmenbedingungen des Zoos anpassen. So auch an die Geschwindigkeit. Man muss sich offenbar an dieser Hetzjagd beteiligen, um zu überleben. Auf zahllosen Ebenen findet eine derartige Beschleunigung statt, dass wir eigentlich mit dem, was wir wirklich sind, mit den Möglichkeiten, welche die Evolution in uns angelegt hat, völlig überfordert sind. Unsere rasanten Erfindungen überfordern unseren Körper und unseren Geist.
    Dadurch entsteht, so denke ich, bei vielen Menschen sehr viel Druck, der dann irgendwo hinaus muss. Wir Menschen sind weder gescheiter noch sind wir dümmer geworden. Vielleicht sind wir „blader“ – also dicker und fetter – geworden, aber das trifft auch nicht auf alle zu. Wir sind aber nicht mehr in der Lage, mitder steigenden Geschwindigkeit mitzuhalten. Unsere Neuerungen wachsen nicht mehr in uns, sondern werden einfach

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