Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
Natürlich nicht nur, aber auch. Am Bahnhof in St. Pölten, circa 60 Kilometer westlich von Wien, an dem ich mich häufig aufhalte, gibt es einen Naturkostladen.
Von Nachbarn kaufe ich auch immer wieder etwas. Wir haben zum Beispiel jemanden, der Honig liefert. Unser unmittelbarer Nachbar bietet Fleisch. Dort kauften wir zu Weihnachten einen Truthahn. Eier erhalte ich bei einer Familie ganz in der Nähe, die Seidenhühner und Zwerghühner hält. Wenn du die Hühner, diedeine Eier legen, persönlich kennst und weißt, dass es ihnen gut geht, erhält das Ei gleich einen viel höheren Stellenwert. Ansonsten ernähre ich mich von dem, was ich in meinem Garten anbaue. Mit Lebensmitteln bin ich also sehr gut versorgt.
Es muss auch nicht alles ständig verfügbar sein. Jeden Tag Paradeiser, also Tomaten, essen zu können – auch im tiefsten Winter – ist eigentlich furchtbar langweilig, zumal ja die Paradeiser im Winter gar keine Paradeiser sind, sondern der vierte Aggregatzustand des Wassers. Mehr ist das nicht.
Welch ein Erlebnis ist es hingegen, wenn die erste Paradiesfrucht am Strauch reif ist! Diesen Geschmack kann keine Glashaustomate im Winter jemals bieten.
Das Reduzieren – gerade bei Lebensmitteln – und das Wissen, dass nicht immer alles und zu jeder Zeit verfügbar ist, machen die Dinge erst so richtig wertvoll.
Clemens G. Arvay: Ist die solidarische Landwirtschaft für dich eine interessante Alternative zum Lebensmitteleinkauf?
Roland Düringer: Du musst mir zuerst erklären, was das ist.
Clemens G. Arvay: Solidarische Landwirtschaft ist ein regionales Versorgungssystem, bei dem man aus dem Preisdenken aussteigt und nicht das Produkt, sondern die Arbeit der Bauern finanziert. Du fragst dann nicht mehr, wie viel ein Kilo Tomaten kostet, sondern du fragst, wie viel dir die Arbeit des Bauern wert ist, damit dieser die Tomaten auf eine Weise anbauen kann, die auch deinen Vorstellungen entspricht und die ökologisch und qualitativ hochwertige Ergebnisse liefert. Eine Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten finanziert „ihre“ Produktionsbetriebe mit einemmonatlichen Mitgliedsbeitrag. Das sind meistens 80 bis 100 Euro. Der Ertrag, die Ernte, wird unter den Konsumenten aufgeteilt. Auf diese Weise versorgen sich bereits zahlreiche Familien mit vielfältigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, auch mit Fleisch. In Deutschland existiert bereits ein relativ gut ausgebautes Netzwerk der solidarischen Landwirtschaft, aber auch in Österreich und in der Schweiz ist das Konzept im Kommen.
Roland Düringer: Ich kenne ein solches Projekt östlich von Wien. Es heißt „Gärtnerhof Ochsenherz“. Ein Freund von mir sah am Wiener Naschmarkt einen Gemüsestand, wo es lauter richtig gutes Gemüse und Obst gab. Die Produkte sprachen ihn so sehr an, dass er etwas davon kaufen wollte. Aber sie sagten: „Bei uns kann man nichts kaufen. Wir sind vom Gärtnerhof Ochsenerz, da muss man erst Mitglied werden, um sich dann hier bedienen zu können.“ Dieser Freund von mir war ganz von den Socken, weil da einer am Markt stand, bei dem man nichts kaufen konnte.
Ja, die solidarische Landwirtschaft ist sicher eine Alternative. Man muss aber langfristig beobachten, wie sie sich entwickelt. Wir müssen Dinge ausprobieren, Möglichkeiten und neue Wege finden. Das ist wichtig.
Oft wissen wir ohnehin, was gut funktionieren würde. Es gab ja schon einmal Gemeinschaften, die über einen langen Zeitraum all das erfüllten, wovon heute so mancher träumt: Man nennt es „Dorf“. All die neuen Lebensformen, wie sie sich jetzt herausbilden, und all die Ideen von Kommunen und Kooperationen, in deren Rahmen sich gleichgesinnte Menschen irgendwo ansiedeln und sich selbst versorgen, sind keine neuen Ideen. Nichts anderes passierte früher in unseren Dörfern. Miteinander zu kooperieren, sich gegenseitig zu helfen und einander mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, ohne die Einzelnen in der Gemeinschaft zuvereinnahmen – das wäre eigentlich die Lösung. Was nicht heißen soll, dass das Leben im Dorf paradiesisch war und dort alles eitel Wonne. In Dorfgemeinschaften gab es sicher genügend „Leichen im Keller“.
Dennoch glaube ich, dass das Konzept des Dorfs nach wie vor sehr gut funktionieren würde. Dies ist auch der Grund, weshalb ich kein Freund von großen und unüberschaubaren Strukturen bin, sondern die kleineren und überschaubaren bevorzuge – in allen Bereichen. „Small ist eben beautiful.“ Wir als Gesellschaft
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