Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
schwindelig. Du gehst an einem Regal mit Milchprodukten vorbei und wirst fast ohnmächtig vor lauter Zeug, über das du dir denkst: „Wer braucht das? Was ist das überhaupt alles? Hilfe, ich suche doch nur ein Stück Butter.“
Hinter der Kasse sitzt meistens eine Dame, die einen schlecht bezahlten, langweiligen Job zu machen hat – nämlich den ganzen Tag lang Produkte über ein rotes Licht zu ziehen. Auch das hat sich im Vergleich zu früher geändert, weil jetzt alles schneller gehen muss. Vor nicht allzu langer Zeit tippte die Dame noch mit ihren Fingern den Preis der Waren ein, die vor ihr am Förderband lagen. Bei dieser Geschwindigkeit konnte man noch relativ gut mithalten und die gekauften Produkte einpacken. Heute geht das im Eiltempo: biep, biep – und du hast gar nicht die Möglichkeit, deine Sachen in dieser Geschwindigkeit in deine Tasche zu stopfen. Hinter dir steht schon der Nächste, der darauf wartet, dass es bei ihm so schnell wie möglich „biep, biep“ macht. Der Hintere stresst dich womöglich sogar, weil du nicht schnell genug weg bist. Also schmeißt du dein Zeug einfach so rasch wie möglich in den Einkaufswagen.
Das bedeutet, dass die enorme Beschleunigung der Dame an der Kasse im Grunde überhaupt nichts bringt, weil das zweite Glied inder Kette, nämlich der Konsument, nicht so schnell sein kann. Ich zumindest bin es nicht.
Wenn die Dame an der Kasse dann auch noch fragt: „Haben Sie eine Vorteilskarte?“, dann könnte ich ihr sowieso ins Gesicht springen, obwohl sie ja nichts dafür kann. Sie sagt nur das, was sie sagen muss, und wird vermutlich sogar bestraft, wenn sie es nicht tut – oder sie wird zumindest gerügt. Daher kam es mir sehr recht, in meinem Experiment die Supermärkte einfach wegfallen zu lassen.
Wenn ich aber auf Supermärkte verzichte, dann lautet die zweite Frage: „Was ist die Alternative und wo erhalte ich meine Lebensmittel?“ Ich bin bewusst auf der Suche nach Lebens-mitteln, da das, was man in Supermärkten kaufen kann, keine Lebensmittel sind, sondern Nahrungs-mittel. Lebensmittel sind ja die Dinge, die uns Leben vermitteln sollen. Im Supermarkt erhalten wir aber meistens nur denaturierte Ware. Diese sieht zwar farbenfroh aus und glänzt, ist bunt verpackt, vermittelt aber kein Leben.
Clemens G. Arvay: Ich las vor vielen Jahren ein Buch eines Philosophen, in dem es um unsere Ernährung ging. Leider habe ich Autor und Titel vergessen. Aber ich erinnere mich sehr genau daran, dass Lebensmittel und Nahrungsmittel in diesem Buch ebenfalls voneinander unterschieden wurden. Allerdings andersherum, als du es soeben getan hast.
Unsere Nahrungsmittel seien gar keine mehr, las ich dort. Sie seien nur mehr Lebens-mittel, die wir in uns einwerfen und die uns irgendwie am Leben halten. Aber sie nähren unseren Körper nicht mehr. Sie reichen als Mittel aus, um nicht zu sterben, sondern am Leben zu bleiben, aber wir nähren uns an diesen Mitteln nicht mehr. Daher sind sie keine Nahrungsmittel. Auch diese Interpretation kann ich nachvollziehen.
Roland Düringer: Man kann es so oder so sehen. Mir ist in meiner Weltanschauung der Begriff „Leben“ sehr wichtig geworden. Das Leben ist an sich etwas Unverständliches, wie wir schon ausführlich festgestellt haben. Es ist etwas Faszinierendes von sehr hohem Wert. Daher stelle ich in meiner Interpretation das Lebensmittel über das Nahrungsmittel. Aber das ist natürlich pure Auslegungssache.
Die Alternativen zum Supermarkt sind daher für mich Lebensmittelgeschäfte. Also die, die wir verdrängt haben, die wir zerstört haben. Es gibt noch immer ein paar kleine Einzelkämpfer. In der Wiener Westbahnstraße kenne ich einen kleinen Laden, der „Firmanns Bauernkörberl“ heißt. Ein Ehepaar betreibt dieses Lebensmittelgeschäft. Sie sind umzingelt von zwei Bio-Supermärkten, in der Kaiserstraße und einem zweiten in der Kirchengasse. Sie sind umzingelt, aber schaffen es doch zu überleben, nachdem sie immer Produkte im Sortiment haben, die es anderswo nicht gibt. Außerdem bieten sie persönliche Betreuung an. Auch in Bio-Supermärkten werde ich ja noch immer diesem „biep, biep“ an der Kasse ausgesetzt, das mich stresst.
Am Lerchenfelderplatzl in Wien gibt es einen Bauernmarkt, an dem wir manchmal einkaufen. Und nicht weit von zu Hause haben wir einen Bauernladen, in dem die Bauern der Region ihre Produkte anbieten. Unser Nahversorger direkt im Ort führt – glücklicherweise – auch regionale Produkte.
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