Leben bis zum Anschlag
der Veranstalter?«, will Mehmet wissen.
Beiläufig und undeutlich spricht sein Vater den Namen zur Seite.
Geschrei Nummer zwei.
»Was?? Arslan Gencer? Der Pate, die Verkörperung des Bösen, der … keiner weiß es genau?« Ungläubig starrt Mehmet seine Eltern an. Man war sich in der Familie bislang sehr einig, dass man zu Arslan Gencer eine möglichst große Distanz wahren sollte.
Jetzt schauen seine Eltern ihn an, als wollten sie sagen: na und?
»Der Mann ist gefährlich!«
»Stell dich nicht so an«, weist sein Vater ihn zurecht.
»Das läuft auf ’ne Hochzeit mit Blutbad raus! Gut möglich, dass ich abgeknallt werde, weil die Musik nicht gut ankommt!«
Mehmets kleine Geschwister, die vierjährigen Zwillinge, fangen an zu wimmern.
»Hör auf, du machst dem Kleinen Angst«, sagt seine Mutter.
»Ihr habt mir auch Angst gemacht, als ich klein war. Da habt ihr immer gesagt, Arslan Gencer holt dich, wenn du nicht …«
Sein Vater unterbricht ihn. »Menschen ändern sich.«
»Hayır. Nein. Njet. Ich hab keinen Bock auf das organisierte Verbrechen!«
Egal, Mehmet muss!
»Arslan Gencer finanziert Hakans Studium.«
»Was? Bloß weil sich der musikalische Vollhorst in Abhängigkeit gebracht hat, soll ich flitzen, wenn Arslan Gencer sagt: Ich bin euer König! Tanzt für mich!« Große Pause. »Hayır! Mach ich nicht. Ihr müsst euch einen anderen Deejay suchen.«
Großes Geschrei No. III.
Familie ist eine Zumutung, und Freiheit ist nicht in Sicht.
Auf dem Weg zur Schule kriegt Nora nichts um sich herum mit. Willenlos setzt sie einen Fuß vor den anderen. Zweimal hat sie schon panisch gecheckt, ob sie überhaupt angezogen ist. Sie ist in einem Zustand, den sie aus Träumen kennt: Alle haben was an, nur sie nicht. Sie sitzt als Einzige nackt unter Bekleideten in der Schule, im Bus oder im Club. Noras Verkörperungsprozess ist auf dem Weg zur Schule selten schon vollständig abgeschlossen. Das passiert erst im Verlauf der zweiten Unterrichtsstunde. Und zu Noras Glück geht es vielen Lehrern genauso. Autsch!! Uhhh! Ahhh!! Aua!
Das hat wehgetan! Allein beim Zusehen verkrampft sich Michael Schuhmacher unwillkürlich. Sie ist über ihre Flip-Flops gestolpert und mit dem Knie voll gegen die Stange der Ampelanlage geknallt. Schnell zieht er den Kopf zurück. Seitdem Nora das Haus verlassen hat, folgt er ihr und hat ihr nur deshalb noch keine Lektion verpasst, weil da noch einer ist. Irrtum ausgeschlossen, dieser lange Typ mit Glatze verfolgt sie genauso wie er. Solange er nicht weiß, was dieser Typ von ihr will, kann er sich leider bei Nora nicht für die verdammte Nachhilfe revanchieren. Nur eins ist klar: Auch der andere will nicht gesehen werden.
Nora setzt sich ihren Kopfhörer auf, während sie weiterhumpelt, und hört ihren nächtlichen Flüstergesang über Kopfhörer ab.
High Tension. Ohne Druck ginge so vieles leichter.
Sie hört ihre heisere Stimme, geräuschgedämmt durch die Bettdecke. Die Akustik klingt merkwürdig dicht, sehr intim. Noras Haare stellen sich auf.
Liegt es an ihrem vom Braten vollen Magen gestern Nacht, dass ihre Stimme so sexy klingt? Oder daran, dass sie unter der Decke fast erstickt wäre? Egal wie, sie weiß, dass ihr was Besonderes gelungen ist, und kann es kaum erwarten, was Mehmet dazu sagt.
Michael Schuhmacher sieht Nora nach. Sie trägt Shorts! Letzte Woche, Donnerstag und Freitag, war sie das am wärmsten eingepackte Mädchen der Schule. Und das, obwohl es noch ein paar Grad wärmer war als heute. Schön sieht sie aus. Zerbrechlich, lebendig und gleichzeitig stark. Schuhmacher will sie schlagen, auf sie einprügeln, weil sie sich um nichts schert. Total versunken in ihre eigene Welt latscht sie vor sich hin und hat null
Ahnung, in welche Schwierigkeiten sie ihn gebracht hat. Wenn sie es wüsste, wäre sie wahrscheinlich sogar froh darüber.
»Lewandowskalingerin! Moin! Servus!« Dali legt eine spektakuläre Vollbremsung mit seinem spektakulären Mountainbike hin.
»Mann, Dali!« Nora hat sich zu Tode erschrocken. »Mach was dagegen, dass beinah jede Begegnung mit dir zum Herzinfarkt führt! Ich fleh dich an.«
Nora presst die Hand auf ihre Brust, schüttelt den Kopf und humpelt vor sich hin.
»Sorry. Warte. Ich will dir die Druckproben für die SOUND CLUB -CD-Cover zeigen.«
»Nicht jetzt, Dali. Es ist noch nicht acht. Ich schlaf noch. Zeig’s mir in der Pause und lass mich auf deinem Gepäckträger sitzen. Ich hab mir den Fuß
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