Leben (German Edition)
mich nur, weil meine Mutter mir das damals, während des Ersten Golfkriegs, erzählte. Sie wollte mir wohl vermitteln, wie gut es mir ging. Als Zehn- oder Elfjähriger habe ich das allerdings nicht verstanden.
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Ich muß in den Magnetresonanztomographen. Es soll wieder einmal nach der Leber gesehen werden, nach der Mottenfraßnekrose und dem Schatten im Gewebe, einem noch nicht sehr großen schwarzen Punkt, von dem ich weiß, seit B. mir eines Tages eröffnete, daß bei der letzten der regelmäßig durchgeführten Kontrollsonographien eine Anomalie im Lebergewebe entdeckt worden sei. Das könne, sagte er, ein hepatozelluläres Karzinom sein, ganz sicher lasse sich das bei einer von Zirrhose bereits so zerstörten Leber wie meiner leider nicht beurteilen. Jetzt auch noch Leberkrebs? Ich wollte nicht daran glauben.
Nun liege ich auf dieser Trage, die auf Schienen läuft, und fahre ein in die kreisrunde Öffnung, fahre ein wie der Sarg in die Brennkammer eines Krematoriums, fahre in den Schacht, hinein in die Röhre. Von Strahlung ist nichts zu spüren – es sei nicht gefährlich, sagt die fröhliche rotblonde Ärztin, es sei bloß ein pulsierendes elektrisches Feld, das die Bipole der Wassermoleküle im Körper dazu bringe, sich immer wieder neu auszurichten, diese minimale Bewegung liefere Informationen, die zu Bildern verarbeitet werden könnten. Aha.
Ich liege im Ofen und werde gebacken, gleich bin ich gar. Verständlich, daß es Patienten gibt, denen diese Enge nicht behagt und die in klaustrophobische Zustände verfallen, für sie ist da ein kleiner roter Notfallknopf. Ein Kontrastmittel rinnt mir in die Armvene, und ich frage mich, ob die Ärztin mit dem Tomographen auch meine Gedanken lesen kann, ob sich auf ihrem Bildschirm vielleicht zeigt, was mich beschäftigt und bewegt, was ich denke, was ich fühle. Weiß sie jetzt, wie großartig, wie aufregend, wie toll ich sie finde? Wie sehr ihre Fröhlichkeit, ihre helle Haut, ihre Haare und ihre Sommersprossen mir gefallen? Könnte sie mir nicht, überlege ich dann, ein paar originelle Gedanken und eine andere Vergangenheit aufspielen? Ein neues Betriebssystem, ein neues Bewußtsein? Oder macht sie gerade eine Kopie von mir und speichert sie ab, um all das, was mich ausmacht, all die unzusammenhängenden Erinnerungen und seltsamen Gefühle, später auszuwerten? Um zu prüfen, ob es sich überhaupt lohnt, mein Leben zu verlängern?
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Dabei wurde das doch schon entschieden, ich wurde schon evaluiert. Hier in dieser Klinik wurde geklärt, ob der Körper, in dem ich stecke, eine Transplantation auch überstehen kann. Über zwei Wochen hinweg wurde ich von allen Seiten durchleuchtet, wurde in jede Öffnung meines Körpers hineingesehen, wurde ich endoskopiert, sonographiert, computertomographiert, magnetresonanztomographiert. Es gibt Röntgenbilder der Pfortader und der Lebervenen, die gemacht wurden, damit die Chirurgen am Tag der Transplantation, dem Tag X, an dem sie die Bauchdecke öffnen würden, wissen, wo und wie sie schneiden müssen. Die Knochendichte wurde gemessen, es gab ein zahnärztliches Konsil, ein Hals-Nasen-Ohren- und ein psychosomatisches Konsil. Teuer muß das gewesen sein, jedem Spezialisten dieser Klinik hatte ich mich vorzustellen, ich bin von einer Station zur anderen gewandert, allen brachte ich meinen Körper mit.
Ich erinnere mich an den Urologen, der meine Prostata untersuchte, digital-rektal, zwei schöne Wörter für Finger im Arsch. Vom urologischen Standpunkt spreche nichts gegen eine Transplantation, sagte er, außerdem erfuhr ich, daß ich Bilderbuchhoden habe. Wie toll.
Ich erinnere mich an den Kardiologen, einen jüngeren Forschungsarzt, der bei der Herzsonographie einen Fehler fand, eine kleine Unregelmäßigkeit in meinem Herzschlag, weshalb er mir einen Herzpaß ausstellte, den ich von da an bei mir tragen sollte. Er relativierte seine Diagnose allerdings, indem er sagte, daß ich mich nun mal gut sonographieren ließe, bei mir sehe er fast alles, bei vielen anderen Patienten müsse der Schall hingegen erst durch zwanzig Zentimeter Fett hindurch, ohne Fettschutzschicht lasse sich eben mehr erkennen und fast immer etwas finden.
Ich erinnere mich an die Psychologin, der ich verriet, daß ich nicht immer wisse, warum ich mich überhaupt operieren lassen solle, vielleicht, sagte ich ihr, sei es ja so gedacht, daß mein Leben nicht so lange dauert, daß ich eben nur diesen kürzeren Zeitraum bleiben kann. Natürlich, fügte
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