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Leben (German Edition)

Leben (German Edition)

Titel: Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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warum eigentlich, keine Angst.
    In der OP-Schleuse begegne ich einem freundlichen Anästhesisten, dem Zauberer, der mich gleich verschwinden lassen wird. Später erinnere ich mich nur an seinen Bart und an ein kurzes, an sich lustiges Gespräch, das von meiner Hilflosigkeit handelt, er zählt auf, was er jetzt alles mit mir anstellen könnte, sagt voraus, daß ich von dem, was folgt, nichts mehr mitbekommen werde. Recht hat er. Ein wenig hantiert er noch an mir herum, dann bin ich weg – und werde wohl in den Operationssaal geschoben, ich denke vielleicht noch: Bis hierher ist das Leben eigentlich ganz schön gewesen, aber wahrscheinlich bin das schon nicht mehr ich, der da denkt, ich bin ja weg und spüre nichts, ich bin ja gar nicht mehr da.
    Ein Körper liegt auf dem Tisch im Operationssaal, schlafend, ein Gisant wie aus dem Buch von Philippe Ariès, in dem die vielen Grabfiguren abgebildet sind. Ich schaue den, der da liegt, wer mag das sein, aus einiger Entfernung an und nehme dann die Position eines Assistenten des Professors ein, ich bin einer von denen, die um diesen Körper herumstehen und eine Klammer halten, sechs oder sieben Stunden lang. Mein Leib, ja, jetzt erkenne ich ihn, er ist’s, liegt auf dem Tisch, der quer verlaufende Oberbauchschnitt mit Verlängerung vom Nabel bis zum Brustbein ist erfolgt, die Hautlappen sind zurückgeklappt. Es geht nun erst einmal darum, die kranke Leber freizulegen und aus dem hinteren Bauchraum herauszulösen, weit und breit kein Adler zu sehen.
    Die Hepatektomie erfolgt nach Lehrbuch: Nach der Eröffnung des Abdomens mittels Oberbauchlaparotomie erfolgt die Mobilisation des linken Leberlappens, Darstellung der suprahepatischen V. cava unter Ablösung des rechten Leberlappens vom Zwerchfell und Anschlingung der V. cava. Darstellung und Ligatur der A. hepatica propria bzw. der A. hepatica dextra und sinistra. Darstellung und Freilegung der A. hepatica communis inklusive der A. gastroduodenalis für die Arterienanamostose. Es folgt die Darstellung und Durchtrennung des Ductus cysticus sowie des Ductus choledochus nahe des Leberhilus, Einlage von Kathetern für den veno-venösen Bypass in die V. femoralis und V. axillaris, Ligatur und Durchtrennung der Pfortader unter Einlage eines weiteren Katheters. Nach Anschluß des veno-venösen Bypasses, der das Mesenterialvenenblut sowie das Blut der unteren Extremität und der Nieren zur V. axillaris umleitet, Darstellung und Ausklemmung der subhepatischen V. cava. Ausklemmung der suprahepatisch V. cava und Herauslösen der Leber aus dem Retroperitoneum unter Mitnahme der V. cava.    [1]





Die ausführliche Anamnese des Patienten dürfen wir freundlicherweise als gut bekannt voraussetzen. Die stationäre Aufnahme erfolgte am 14. Juli, nachdem ein blutgruppenidentisches Leber-Organ von Eurotransplant zur Verfügung stand.
Die orthotope Lebertransplantation konnte nach unauffälliger präoperativer Diagnostik und umfassender Aufklärung des Patienten am Aufnahmetag mit einem MELD-Score von 21 komplikationslos in piggy-back-Technik (mit A. lienalis auf A, gastroduentalis, Milzarterienligatur, Gallengang Seit-zu-Seit mit T-Drain) durchgeführt werden.
Postoperativ wurde der Patient zur weiteren Therapie und Überwachung extubiert, spontan atmend und kreislaufstabil auf die Intensivpflegestation verlegt.

Und so ist es passiert. Ich habe die Leber eines anderen Menschen, eines oder einer Toten, bekommen, geschenkt bekommen. Ihm oder ihr wurde sie aus dem Leib geschnitten und mir anstelle meiner eigenen eingepflanzt. Ich kann das eigentlich nicht glauben.
    Es hätte ja, ich weiß, auch andersherum kommen können. Ich hätte in der Apfelmusnacht verbluten können, im Badezimmer, über der Badewanne, im Rettungswagen, auf dem Weg in die Klinik, der Notarzt hielt meinen Organspendeausweis ja schon in der Hand. Anderswo hätten sich Menschen gefreut, hätten weiterleben können und wären vielleicht nicht auf der Warteliste gestorben, ihre Telefone hätten in dieser Nacht geklingelt, und eine Stimme hätte gesagt: Wir haben eine Lunge, eine Niere, ein Herz für Sie. Nur meine Leber hätte niemandem geholfen.

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    Ich sehe Lichter, sehr viele Lichter, ein großes Leuchten. Ich schwebe über einer Stadt, wie heißt diese Stadt noch gleich? Ich habe ja Flügel, sieh an, ich bin ein Vogel, ich bin eine Ente, ich bin die Ente im Zwischenreich, ich schwimme, fliege, tauche, gestatten, mein Name Donald Duck.

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    Bei jedem

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