Leben (German Edition)
Park zwei Mädchen beobachtet und nach seinen beiden Hunden ruft. Auf einmal ist von seinen Hunden die Rede, nachdem er zuvor Tausende Hunde bei seinen Transplantationsversuchen getötet hat, jahrelang hat er die Transplantationschirurgie an Hunden geübt, immer wieder Hundelebern von Hund zu Hund transplantiert und alle möglichen Immunsuppressiva in allen möglichen Kombinationen an ihnen ausprobiert.
Und die ganze Zeit über hatte er Hunde?
Nun denke ich an all die Hunde, die auch für mich gestorben sind.
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Die Schwester hat einen Ventilator gefunden und zu uns ins Zimmer gestellt, er dreht sich, schwenkt hin und her und verwirbelt die Luft, nachts aber, das war schon gestern und vorgestern der Fall, nimmt ihn sich die Nachtschwester. Sie denkt wohl, wir schlafen, es ist bestimmt auch in ihrem Zimmer heiß. Auf Nachfrage bringt eine andere Schwester ihn vormittags zurück.
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So heiß wie jetzt war mir zuletzt vor vier oder fünf Jahren, in Italien, als ich Julia am Gardasee besuchte, in einem Haus, das ihrer Freundin Judith von einem älteren Verehrer für ein paar Wochen im Sommer überlassen worden war. Julia rief mich von dort aus an, schwärmte von dem Anwesen und lud mich ein, ja bekniete mich zu kommen, also buchte ich kurzentschlossen, flog von Berlin nach Bergamo und fuhr von dort mit dem Zug über Vincenza und Brescia nach Desenzano am südlichen Ufer des Gardasees. Als ich dort ausstieg, war es kurz vor halb zwei am Nachmittag, der Bus, der am Westufer nach Norden fahren sollte, fuhr erst nach vier. Die Bar im Bahnhofsgebäude war geschlossen, also setzte ich mich auf eine Bank auf dem Vorplatz und wartete. Ohne Gepäck wäre ich vielleicht gelaufen, es waren nur zehn Kilometer, aber es war heiß, sehr heiß, und meine Tasche, die braune Tasche, die jetzt im Krankenhausschrank steht, war schwer, ich hatte zu viele Bücher mitgenommen.
Nachdem ich auf dieser Bank fast eine Stunde einfach nur dagesessen und mich möglichst wenig bewegt hatte, nahm ich ein Buch heraus, in das ich schon im Flugzeug hatte hineinlesen wollen, eines, das ich eingesteckt hatte, weil ich wußte, daß es in Italien spielt. Ich las hinein und wunderte mich, als ich auf einer Seite auf den Namen Desenzano stieß, den Namen des Ortes, in dem ich mich gerade befand, und wunderte mich weiter, als mir klarwurde, daß in dem Buch von ebendiesem Bahnhof, dem Stationsgebäude und den Taxifahrern auf dem Vorplatz die Rede war, die ich, genau wie beschrieben, in ihren Taxis dösen sah. Und weil sogar das Pissoir geschildert wurde, die Bahnhofstoilette, die sich seit der Erbauung um die Jahrhundertwende angeblich, so hieß es, nicht oder kaum verändert hatte, und ich sowieso aufs Klo mußte, machte ich mich auf, es zu suchen, dachte dabei, daß ich das Wort Bahnhofspissoir sicher seit dem Tod meines Großvaters vor über zwanzig Jahren niemanden mehr hatte sagen hören, und fand mich schließlich vor dem Waschbecken und dem darüber angebrachten stumpfen Spiegel wieder, von dem ich fünf Minuten zuvor gelesen hatte. Er hing noch genau so da.
Der blaue Bus, der fahrplanmäßig kam, war leer. Der Busfahrer verkaufte mir eine Fahrkarte, ich blieb der einzige Passagier, den er am gleißenden See entlang durch Saló bis nach Gargagno kutschierte. Julia und Judith, beide schon braungebrannt, traf ich unten am Ufer, rauchend, sie rauchten eigentlich immer, die ganze Zeit. Ich glaube, in den folgenden Tagen sah ich sie nicht ein einziges Mal ohne Zigarette, Judith ging sogar mit Zigarette ins Wasser, aber bloß bis zu den Knien, der See war eiskalt. Erst am späten Abend, nach dem Essen auf der Terrasse des Hauses mit Berg- und Seeblick, verrieten sie mir, daß Judiths Verehrer, der ältere Mann, dem das Anwesen gehörte, drei Tage zuvor gestorben war, sehr überraschend, hier am See, am Tag ihrer Ankunft, nicht in dem großen, alten Haus, in dem wir untergebracht waren, sondern in dem kleineren, neueren, weiter oben auf dem Grundstück gelegenen Gebäude, das ein nicht unbekannter Berliner Architekt an Stelle des ehemaligen Stallgebäudes, der Stalla, errichtet hatte. Nun verstand ich, warum Julia gesagt hatte, es gebe hier viel Platz. Alle anderen Sommergäste waren abgereist, wir drei waren allein, ihr Kind hatte Judith bei seinem Vater gelassen. Der See, das weiß ich noch, machte nachts glucksende Geräusche, und die senkrechten Felswände des gegenüberliegenden Ufers sahen im Mondlicht wie riesige Grabsteine aus.
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