Leben (German Edition)
bin ich nicht mehr nur der, der ich war, ich bin jetzt auch die Person des Spenders, also du. Die Biochemie, die in mir Bewußtsein erzeugt, ist eine andere geworden. Ich glaube, es ist deine. Ich habe nun Proteine im Blut, die ich vorher nicht hatte, weil meine eigene Leber sie nicht mehr oder noch nie produzieren konnte, also könnte ich Gefühle haben, die ich noch nicht oder nicht mehr kenne. Ich bin ein zusammengesetzter neuer Mensch, ergänzt und verbessert, eine Chimäre, ein Hybrid, ein Replikant beinah.
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In Reasons and Persons fragt Derek Parfit sich, wie viele Zellen seines Körpers er nach und nach gegen Zellen von Greta Garbos Körper austauschen müßte, um schließlich Greta Garbo zu sein. Reichen die Zellen einer Hand? Die der Beine? Müssen die des Gesichts dabeisein? Braucht es die von Greta Garbos Gehirn? Parfit meint, die Identität einer Person sei im Grunde unbestimmbar und nach ihr zu fragen irrelevant, denn psychologische und physiologische Kontinuität setze keine Identität voraus, die sei nicht überlebenswichtig. Ich könnte also Derek Parfit, Greta Garbo oder irgend jemand anders geworden sein, zum Beispiel du. Zellen von dir habe ich ja genug in mir – aber halt, ich denke, Identität spielt keine Rolle, ach, ich werde dich, mich, uns von nun an Greta Garbo nennen.
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In der Nacht wache ich wieder vom Hubschrauber auf. Bringt er eine Kühltasche mit zwei Nieren und einem Herzen auf Eis? Eine Lunge, eine Bauchspeicheldrüse? Mitten in der Nacht klingen landende Hubschrauber nach Vietnamkriegsfilmen, Apocalypse Now , ich liege in einem heißen Zimmer unter einem Deckenventilator, ich esse Erbsen, ich fliege in einem Hubschrauber, höre den Walkürenritt , sehe die Wellen, brennende Dörfer und den Napalmregen, der auf den Dschungel niedergeht, fahre auf dem Patrouillenboot den Pseudo-Kongo hinauf, und bevor ich ins Herz der Finsternis vorgedrungen bin, schiebt sich, Schnitt, ein anderer Film darüber, die Szene am Ende von Revenge of the Sith, Star Wars Episode III : Anakin Skywalker kämpft mit seinem Freund und Lehrmeister Obi Wan Kenobi, wird besiegt und rutscht verstümmelt, ihm fehlen beide Beine, in rotglühende Lava hinein, sein Körper beginnt zu brennen, nur seine mechanische Handprothese hält ihn, Anakin müßte eigentlich tot sein, wird aber vom überraschend eintreffenden Imperator gerettet, Roboter operieren seinen Restkörper, verbessern und ergänzen ihn, passen ihm neue Superprothesen an und setzen ihm den schwarzen Helm auf, Atemmaske und Sichtgerät zugleich, die Haube, die Anakin zu Darth Vader macht – ich hole Luft, mir schwirrt der Kopf. Stille.
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Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung von einem Landwirt, dem die Arme eines Toten transplantiert wurden, seine eigenen hatte er in einem Maishäcksler verloren. Die Operation dauerte fünfzehn Stunden, mehr als vierzig Chirurgen, Anästhesisten und Schwestern waren beteiligt, zwei parallel arbeitende Teams transplantierten jeweils einen Arm. Schwierig war das auch deshalb, weil mit den Armen so viel Haut mitübertragen wird. Fremde Haut löst beim Empfänger eine starke Immunreaktion aus, das Knochenmark der transplantierten Arme produziert ebenfalls Immunzellen, die wiederum den Empfänger attackieren. Während ich das lese, frage ich mich, wie dieser Patient immunsupprimiert wird, wie gigantisch hoch muß seine Dosis sein? Die Nerven müßten langsam einwachsen, lese ich weiter, schon nach einem Jahr, heißt es, werde der Patient einen Arm bewegen können, den anderen leider noch nicht. Schon nach einem Jahr? Ist das Wort schon hier angebracht? Ich schaue auf meinen linken Arm, dann auf meinen rechten, betrachte beide, bewege sie ein kleines bißchen – eigentlich gefallen sie mir ganz gut. Ich möchte sie behalten.
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In einer Folge der Zeichentrickserie Futurama , erinnere ich mich, beißt der Dinosaurier eines Dino-Parks dem Helden Fry beide Hände ab. Zum Glück liegt im New New York des Jahres 3000 ein auf neue Hände spezialisiertes Geschäft gleich um die Ecke. Fry findet seine neuen Hände dann auch viel schöner als die alten.
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Von Verpflanzung wird heute kaum noch gesprochen, fast immer ist von Organtransplantation die Rede. Offenbar besteht eine Scheu vor der botanischen Deutlichkeit des Bildes, zu dem das Aus- und Eingraben gehört. Das lateinische Wort Transplantation verschleiert den Vorgang, obwohl darin eine ganze Plantage steckt.
Verpflanzung klingt nach Gartenarbeit, nach
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