Leben (German Edition)
Unkraut-Jäten, Aus- und Umtopfen, Graben, Wurzelballen-Einsetzen, Mit-Erde-Auffüllen, Leicht-Andrücken, Gießen. Nach Rasenmähen, Heckenrosen- und Obstbäume-Beschneiden, Blätterrechen im Herbst. Ich habe nie gern im Garten gearbeitet und frage mich, warum ich ausgerechnet heute vom Rasenmähen träume, von dem Muster, den Streifen und Bögen, die ich auf den Rasen male – paß auf das Kabel auf, höre ich meine Mutter sagen, du darfst das Kabel nicht überfahren, und am Rand, da am Rand dürfen keine Halme stehen bleiben, sonst mußt du später mit dem Randschneider nacharbeiten. Zwischendurch mußte ich den gefüllten Auffangsack zum Komposthaufen tragen und dort leeren.
Zum Glück bin ich von nun an für immer von aller Gartenarbeit befreit. In der Gartenerde lauern viel zu viele Keime. Topfpflanzen soll ich auch keine mehr haben. Macht nichts, Schnittblumen waren mir immer lieber.
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A liver is viable only up to eighteen hours after harvesting , lese ich in Starzls Autobiographie. In der älteren Literatur ist von harvesting , vom Ernten, die Rede, ein Wort, das mich erschreckt. Ich stelle mir Körperfarmen vor und denke an die Leberernte dieses Jahres. Wie kühl und distanziert klingt dagegen das deutsche Wort Organentnahme .
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Vielleicht sollte ich besser denken, mir sei bloß ein Ersatzteil eingebaut worden. Wie einem Auto. Auf diese Weise wäre ich die botanische Metaphorik los.
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Ich schiebe einen Arm unter mein Kopfkissen und taste nach Rebeccas Nachthemd – aber ich döse nicht auf der Schaumstoffmatratze der Wohnung in der Rue des Martyrs, wie ich es kurz geglaubt habe, ich liege im Krankenhaus, in Berlin, gar nicht so weit entfernt vom Café Savigny, in dem Rebecca und ich uns das erste Mal getroffen haben, vor Jahren. Wir kannten uns aus der Uni, sie war die Freundin eines Freundes, und auf einmal saßen wir da, aßen Apfeltorte mit Sahne und hatten uns viel zu erzählen – ihre Eltern, meine Eltern, ihre Kindheit, meine Kindheit, stundenlang ging das so hin und her, ununterbrochen, sie und ich, meistens abwechselnd, manchmal zusammen, es kam mir vor wie ein Duett. Das nächste Mal bei dir, sagte sie zum Abschied und küßte mich, was ungewöhnlich war, auf den Mund.
Zwei oder drei Wochen später kam sie mich besuchen, wir tranken Tee und hörten die Goldberg-Variationen, die ich seit diesem Nachmittag nicht mehr hören kann, ohne an sie zu denken, sie liefen im CD-Spieler auf Wiederholung. Es dauerte lange, bis meine Hand auf ihrer lag, sie fragte: Und, wie soll ich jetzt reagieren? Ich sagte nichts, wartete statt dessen ab, ob sie ihre Hand zurückzog, was aber nicht geschah. Eine Weile geschah gar nichts, bis sie begann, mit ihrem Zeigefinger über meinen Handrücken zu streichen, ich glaube, das war die bis dahin aufregendste Berührung meines Lebens. Meinen Handrücken gibt es ja noch, ich schaue ihn an, berühre ihn mit meinem eigenen Zeigefinger, aber das Gefühl von damals bleibt aus, mein Herz beginnt nicht zu klopfen, mir fällt bloß auf, wie fleckig dieser Handrücken geworden ist, als Rebecca darüberstrich, war er das nicht.
Sie strich mir über die Hand, sie strich sehr sanft, und nur kurz darauf hatten wir beide nichts mehr an. Von März bis September trafen wir uns dann fast jeden Tag in Dahlem, in der Nähe der Freien Universität, im Botanischen Garten oder auf der Wiese im Schwarzen Grund, immer heimlich, es gab ja noch ihren Freund. Als das Austauschjahr in Paris begann, kam sie mich bald besuchen und ließ ihr Nachthemd da.
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Die Schwester bringt eine Packung Einweg-Keimschutzkittel, dazu Handschuhe, Mundschutz und Hauben, der Replikant soll zum ersten Mal nach draußen, an die frische Luft. Muß ich? Wirklich? Sie reißt die Kittelpackung auf, faltet einen der Umhänge auseinander und zieht ihn mir über mein Flügelhemd, ich trage nun eine dunkelgrüne Soutane. Sie legt mir einen Mundschutz an, setzt mir eine Keimhaube auf den Kopf und hilft mir in die Handschuhe, keine Latexhandschuhe, nein, sie hat weiße Stoffhandschuhe mitgebracht. Ich soll wohl auf einen Ball, ich werde Krankenhausdandy und Astronaut, verpackt für den Tauchgang in die warme Luft auf einem anderen Planeten, irgendwo da unten, etliche Stockwerke unter uns.
Und da kommt auch schon meine Kutsche, mein Gleiter. Die Physiotherapeutin schiebt einen Rollstuhl ins Zimmer, ein Monstrum mit schwarzen Speichenrädern, die wie die Laufräder eines Waffenrads aussehen, der Mechanismus, mit dem
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