Leben Ist Jetzt

konzentrieren. Doch auch der alte Mensch braucht noch Vorbilder. Gerade wenn er sich auf neue Prozesse einlässt, die er noch nicht
     beherrscht, braucht er Vorbilder, an denen er ablesen kann, dass ihnen das Annehmen ihres Alters und das Loslassen alter Rollen gelungen ist. Er braucht
     Vorbilder, die ihm den Wert des Alters vor Augen halten, die ihm zeigen, wie gelungenes Altwerden aussieht. Vielleicht lesen alte Menschen deswegen gerne
     Biographien. Sie möchten wissen, wie anderen Menschen das ganze Leben gelungen ist. Sie interessieren sich beim Lesen der Biographien nicht nur für die
     Großtaten der beschriebenen Personen, sondern gerade auch für ihre letzten Lebensjahre, wie sie mit dem Alter und dem Sterben fertig geworden sind.

    Ich kann mich als alter Mann nicht hinstellen und auf mich als Vorbild verweisen. Das wäre peinlich und Ausdruck von Hochmut. Wenn
     alte Menschen authentisch leben und im Einklang sind mit sich selbst, dann werden sie zum Vorbild für andere. Das bedeutet nicht, dass sie nach außen hin
     auf einen perfekten Eindruck zielen sollten. Doch der Anspruch, Vorbildzu sein, kann uns auf den Weg führen, an uns zu arbeiten. Er
     weckt in uns die Verantwortung. Wir sollen uns nicht gehen lassen. Wir sollen bewusst unser Alter leben, nicht nur, damit das eigene Leben gelingt. Wenn
     wir unser Alter gut leben, werden wir auch zum Segen für andere. Umgekehrt, wenn wir nur verbitterte und unzufriedene Alte werden, die auf Gott und die
     Welt schimpfen, dann haben wir einen negativen Einfluss auf unsere Umgebung. Wir haben noch eine Aufgabe als alte Menschen, nicht indem wir viel leisten,
     sondern indem wir authentisch leben. Wer authentisch lebt, der ist immer ein Vorbild für andere. Manchmal kann uns dieser Anspruch, ein Vorbild für andere
     zu sein, helfen, uns nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben und innerlich stehen zu bleiben, sondern an uns zu arbeiten, innerlich weiter zu suchen
     und weiter zu wachsen. Wir leben nie für uns allein, auch im Alter nicht, sondern immer in Solidarität und in Verantwortung für andere. Alles, was wir für
     unsere eigene Entwicklung und Reifung tun, tun wir immer auch für die anderen. Dadurch schaffen wir ein Klima, in dem auch andere Lust bekommen, an sich
     zu arbeiten und innerlich weiter zu kommen.
Nicht an der Leistung hängt der Wert
    In der beruflichen Phase erfahren viele Sinn über ihre Arbeit, ihren Beruf. Immer wieder taucht die Frage auf: Kann man im Alter
     weiter produktiv sein? Gehört Arbeit auch zum Alter dazu? Welche Möglichkeiten hat man, Dinge zu schaffen und sich selbst darin auszudrücken, wenn man
     pensioniert ist? Ist es wichtig, im Alter noch zu arbeiten und etwas zu leisten?

    Vor einiger Zeit habe ich Jörg Zink besucht, um ein gemeinsames Projekt zu besprechen. Ich war tief beeindruckt von seiner
     Schaffenskraft im Alter. Mit seinen 86 Jahren steht er jeden Morgen um 4.00 Uhr auf und setzt sich an seinen Schreibtisch, um etwas zu schreiben. Die
     ersten vier Stunden des Morgens dienen ihm der kreativen Arbeit. Natürlich kann das nicht jeder alte Mensch. Aber viele geistig tätige Menschen haben bis
     ins hohe Alter hinein eine ungeheure Schaffenskraft bewiesen. Sie stehen nicht mehr unter dem Druck, etwas schreiben zu müssen. Aber es hält sie lebendig,
     ihre Gedanken zu formulieren und sich mit Themen zu beschäftigen, die die Welt heute bewegen.

    Früher haben die alten Männer und Frauen in der Landwirtschaft weiter gearbeitet. Ihre Arbeit hat sich verändert. Die Großmutter hat
     den Haushalt gemacht, während die Bäuerin im Stall und auf demFeld arbeiten konnte. Der Großvater hat auf dem Hof geholfen. Er hat den
     Hof in Ordnung gehalten und nach Kräften weiter gearbeitet. Das war ein Segen für ihn und für den Hof. Aber die Arbeit war den Kräften des alten Menschen
     angemessen. Er musste nicht einfach das, was er mit 50 Jahren geleistet hat, auch im Alter noch leisten. Insofern muss sich die Arbeit im Alter
     wandeln. Es geht nicht mehr um Leistung, sondern um eine sinnvolle Beschäftigung, die aber mehr ist als bloße Selbstbeschäftigung. Sie muss auch anderen
     noch einen Nutzen bringen.

    Manche Menschen haben im Alter ihre kreativen Fähigkeiten entdeckt. Da beginnt eine Frau im Alter noch mit dem Malen. Oder ein Mann
     richtet sich eine kleine Schreinerwerkstatt ein, um für den Haushalt noch ein paar gediegene Möbel herzustellen. Oder eine alte Frau setzt sich hin und
     strickt für