Leben Ist Jetzt
Ich
möchte bewusst leben. Jeder Tag ist kostbar, auch wenn nach außen nicht viel geschieht. Aber mit welcher inneren Haltung ich den Tag lebe, das hängt von
mir ab. Und vielleicht hat hier ein älterer Mensch einfach nur ein feines Gespür dafür, dass er die Tage, die ihm gegönnt sind, bewusst und intensiv leben
möchte, dass er in den Gesprächen präsent sein möchte, offen sein für den, der ihm heute begegnet und für das, was in derWelt
geschieht. Er möchte nicht einfach so dahin leben. Er spürt, dass das Leben eines Menschen kostbar ist. Er möchte eine gute Spur in diese Welt
eingraben. Und so ärgert er sich, wenn die Spur des Tages unklar und trüb war. Wir haben unsere Tage nicht zu verschenken in dem Sinn, dass wir sie leer
vorüberziehen lassen. Aber wir sollen in der Zeit uns selbst verschenken, dann wird jeder Tag ein geschenkter Tag und nicht ein verschenkter sein.
Die Tatsache, dass unser Leben endlich und begrenzt ist, kann Angst einjagen. Keiner von uns weiß, wie lange er noch leben kann. Aber
die Begrenzung könnte auch eine Chance sein, sich über die Maßstäbe und Werte des eigenen Lebens Gedanken zu machen. Was ist mir wirklich wichtig? Welche
Werte möchte ich leben? In welcher inneren Verfassung und Haltung möchte ich die Zeit leben, die mir geschenkt ist? Wir sollen wir die Zeit nutzen, damit
wir bewusst und intensiv leben.
Wir sollen unsere Zeit auch genießen. Dieser Genuss ist kein Egoismus. Wenn wir unsere Zeit genießen, geben wir ihr einen guten
Geschmack. Dann ist unsere Zeit auch eine kostbare Zeit für die Menschen um uns herum. Wenn ich die Zeit totschlage oder sie mit hektischer Aktivität
fülle, nütze ich niemandem. Wenn für mich alles langweilig ist, will niemand an meiner Langeweile teilhaben. Wenn ich ständig Hektik um michverbreite, fliehen die Menschen vor mir. Sie wollen sich nicht von meiner Hektik anstecken lassen. Aber wenn ich die Zeit genieße, werden
es auch die Menschen genießen, mit mir zusammen zu sein. Sie möchten dann etwas lernen von meiner Lebenskunst, im Einklang mit mir und dem Leben zu sein,
mit der Kunst, das Wenige, das ich habe, zu genießen. Die Zeit bleibt immer dieselbe. Aber wenn wir die Zeit genießen, bekommt sie eine andere Qualität,
für uns selbst und für die Menschen um uns herum.
Nicht nur loslassen, sondern auch ankommen
Die Aufgabe des Älterwerdens ist das Loslassen. Aber das Ziel ist das Ankommen. Wenn wir uns selbst annehmen, so wie wir sind, wenn
wir alles loslassen, was uns bedrängt, wenn wir das eigene Ego loslassen, dann kommen wir bei uns selbst an. Wer das Ego nicht loslässt, kommt nie bei
sich selber an. Das Ego verstellt die wirkliche Ankunft. Nur wenn wir das Ego loslassen, kommen wir in die eigene Mitte. Und dort kommen wir bei unserem
wahren Selbst an. Und wir kommen im Augenblick an. Das Ego will immer etwas. Es will sich rechtfertigen und sich behaupten. Es ist immer mit sich selbst
beschäftigt. So werden wir nie frei, wirklich bei uns und in diesem Augenblick, den wir jetzt erleben, anzukommen. C. G. Jung meinte einmal, keiner vermag
sein Selbst zu finden, ohne dass er Gott in sich findet. Und Gott ist immer der Seiende, der einfach da ist, der reine Gegenwart ist. Wenn ich selbst im
Loslassen meines Ego zum reinen Sein werde, dann bin ich in Gott angekommen. Und dann ist er in mir angekommen. Gott ist natürlich immer schon da. Aber da
ich nicht bei mir bin, erlebe ich ihn als den Kommenden. In der Adventszeit stellen wir uns im Verlauf des Kirchenjahrs bewusst diesem Thema des
Ankommens. Wir warten auf das Kommen Jesu Christi, obwohl wir wissen, dass er schon längst gekommen ist.Aber wir warten, um sein Kommen
in jedem Augenblick erfahren zu können. Und wenn Christus zu uns kommt, kommen wir bei uns an.
Im Alter erhält das Ankommen noch eine andere Dimension. Im Alter sind wir an der Schwelle des Todes angekommen, die uns in das reine
Sein, in die reine Gegenwart hineinführt. Wir sind am Ziel unseres Lebens angekommen. Manchmal haben wir den Eindruck, dass wir noch längst nicht bei uns
selbst angekommen sind. Wir hängen immer noch an unserem Ego, an unseren vergangenen Verletzungen, an unserem Besitz, an den Menschen. Manche bekommen
Angst, sie würden nie bei sich ankommen. Da ist es eine tröstliche Botschaft, dass wir das Ankommen letztlich gar nicht selber vollziehen müssen. Wir
müssen uns nicht ständig fragen, ob wir schon an
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