Leben Ist Jetzt
unserem Ziel, bei unserem wahren Selbst angekommen sind. Wir dürfen vertrauen, dass wir für immer bei uns
und bei Gott ankommen werden, wenn Gott im Tod zu uns kommt. Dann kommt alles in uns zur Vollendung. Wir sind für immer angekommen, daheim.
Wenn ich losgelassen habe, kann Neues kommen
Es war der englische Dichter E. M. Forster, der gesagt hat: „Wir müssen das Leben, das wir geplant haben, loslassen. Nur so bekommen
wir das Leben, das auf uns wartet.“ Die Frage ist allerdings in der Tat: Was für ein Leben wartet auf mich? Jeder von uns hat bestimmte Vorstellungen,
wie sein Leben ablaufen soll. Und oft genug haben wir unser Leben genau geplant. Wir haben geplant, einen Beruf zu erlernen, eine Familie zu gründen, ein
Haus zu bauen, soviel zu verdienen, dass wir das Haus abzahlen können. Dann haben wir unseren Lebensabend geplant mit vielen Reisen und mit all dem, was
uns interessiert. Doch dann tritt irgendetwas dazwischen. Eine Krankheit hindert mich am Reisen. Ich verliere vorzeitig meine Arbeit und kann den Kredit
für mein Haus nicht mehr abzahlen. Mein Partner stirbt, bevor ich pensioniert werde, oder kurz danach. Das wirft alle meine Pläne über den Haufen. Ich
kann dann das Gefühl haben, dass ich vor den Trümmern meines Lebens stehe. Ich kann meine Pläne aber auch loslassen. Sie waren gut gemeint. Sie haben mich
angetrieben, mein Leben gut zu gestalten. Aber es lässt sich nicht alles planen. Ich lasse meine Pläne los, all meine festen Vorstellungen, wie mein Leben
ablaufen muss. Dann kann Neues auf mich zukommen. Dann kommt das Leben auf mich zu,das auf mich wartet. Nicht ich habe auf dieses Leben
gewartet, sondern es wartet auf mich. Es kommt etwas Neues auf mich zu und beschenkt mich. Wenn ich mich auf das Neue, Ungeplante einlasse, dann werde ich
beschenkt mit einem Leben, das so ganz anders ist, als ich es mir vorgestellt habe. Aber es ist wirkliches Leben, geschenktes Leben. Ich trete gleichsam
in einen Raum ein, in dem das Leben für mich bereit liegt.
8. „Endlich“ leben
U nser Leben ist endlich. Weisheit besteht darin, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu werden. Der Tod
ist uns allen gewiss, ob wir nun jung sind oder alt. Er kann plötzlich kommen, heute oder morgen schon. Aber das Wissen um seine Gewissheit soll uns nicht
lähmen, sondern uns – ob alt oder jung – befähigen, uns ganz auf das Leben einzulassen, das wir jetzt gerade leben. Als die Mutter des großen
Theologen Karl Rahner – über hundertjährig – gestorben war, hatte er bei seinen Verlagsbesuchen in Freiburg oft den Wunsch, mit dem Auto an
die Stätten seiner Jugend gefahren zu werden. Bei dieser Gelegenheit kam er auch gelegentlich zum Haldenhotel auf dem Schauinsland. Einmal, so wird
erzählt, kam er mit der alten Haldenwirtin ins Gespräch, die seine Verwandten kannte, da diese selbst in Günterstal bei Freiburg ein Hotel gehabt
hatten. Die Wirtin war schon über 80 Jahre alt, älter als Karl Rahner. Man sprach von der Notwendigkeit, das alte Hotel zu restaurieren, einen Skilift zu
bauen und all das, was noch zu tun war. Aber dann kam das Gespräch auf einmal auch auf das Sterben. Die Wirtin, die selber noch aktiv an den Geschäften
des Hotels beteiligt war, meinte, sie seiauf alles vorbereitet und sei natürlich bereit, Gottes Willen zu folgen. Aber jeden Tag würde
sie beten: „Lieber Gott! Wann du witt (= willst). Nur net hitt (= heute).“ Rahner hat herzlich gelacht über solche Form alemannisch-volkskirchlicher
Hoffnung auf Verzögerung. Für die Wirtin war die Beschäftigung mit dem Sterben kein Hindernis, sich ganz den Tagesgeschäften zuzuwenden. Der Gedanke an
den Tod gab ihr innere Freiheit dazu.
C. G. Jung meint, die Religionen seien „komplizierte Systeme der Vorbereitung des Todes“. Was die Religionen vom Tod sagen, entspricht der Weisheit
der Seele, „wenn wir den Tod als die Sinnerfüllung des Lebens und als sein eigentliches Ziel betrachten, anstatt als ein bloß sinnloses Aufhören.“ Für
C. G. Jung entspricht es daher dem Bedürfnis der menschlichen Seele, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen und sich auf ihn vorzubereiten: „Der alternde
Mensch bereitet sich nolens volens auf den Tod vor. Darum meine ich, dass die Natur schon selber für die Vorbereitung aufs Ende sorgt ¼ Es ist ebenso
neurotisch, sich nicht auf den Tod als ein Ziel einzustellen, wie in der Jugend die Phantasien zu verdrängen, welche sich mit der
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