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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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ruft Lizzy aus. »Aber das sind doch höchstens acht Schlüssel!«
    Die beiden stehen sich gegenüber und kommen nicht weiter. Lizzy schaut wütend, der Mann gelangweilt. Dann schießt plötzlich Lizzys Hand nach vorn und greift nach dem Schälchen mitsamt allen Schlüsseln. Bevor der Mann begriffen hat, was sie tut, rennt sie in dem Gang zwischen den Tischen davon. Mir klappt der Mund auf. Der Mann will hinter ihr herlaufen, begreift aber rasch, dass er seinen Stand nicht allein lassen kann. Er baut sich direkt vor mir auf und streckt mir fordernd seine Hand entgegen. Mit zitternden Fingern lege ich hastig zwei Dollar auf die offene Handfläche.
    »Die fünfzig Cent kannst du gleich dazutun«, sagt er. »Für
das Schälchen.« Ich habe keine Wahl, ich muss ihm die Münzen geben.
    »Deine Süße ist ein ganz schöner Kracher«, sagt er mit einer Spur von Bewunderung in der Stimme.
    »Sie ist nicht meine Süße!«, verkünde ich und renne bereits los, um möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen. Ich bewege mich so schnell durch die Menschenmenge, wie das mit einem Rucksack auf dem Rücken möglich ist, und entdecke Lizzy auf einer Bank vor dem vorderen Eingang zum Markt. Sie hält ein halb gegessenes Eis in der Hand.
    Ich setze mich neben sie und sehe zu, wie die blaue Eiscreme an ihrem Kinn herunterläuft. »Mir fehlen die Worte«, sage ich und hole die Razzles aus meinem Rucksack. Süßigkeiten helfen mir immer. Ich reiße die Tüte auf, halte sie mir an die Lippen und schüttle, bis alle Razzles in meinem Mund gelandet sind. Jetzt kann ich nicht reden, selbst wenn ich es wollte.
    »Ich weiß, dass du nicht einverstanden bist«, sagt Lizzy und wirft die leer gegessene Eistüte in den Papierkorb neben sich. »Aber mal im Ernst, der Typ war doch absolut ätzend.«
    Ich kaue wie ein Wilder und gebe keine Antwort.
    »Okay«, sagt sie. »Du brauchst gar nichts zu sagen. Lass uns nur die Schlüssel ausprobieren.«
    Sie nimmt die Kassette aus dem Rucksack auf meinem Schoß und versucht es mit jedem Schlüssel in jedem Schlüsselloch, genau wie wir es schon zuvor gemacht haben. Einer gleitet bis zur Hälfte in eines der Löcher und wir machen beide einen kleinen Satz. Aber dann lässt er sich nicht tiefer hineinschieben, so sehr wir auch stochern. Als sie fertig ist, wirft Lizzy den ganzen Packen Schlüssel in den Abfall.
    »Was soll denn das?«, frage ich und ersticke dabei fast an
dem riesigen Gummiklumpen in meinem Mund. »Wir hätten sie behalten sollen.«
    »Wozu?«, will Lizzy wissen.
    »Weiß ich nicht, aber sie haben mich zwei Dollar fünfzig gekostet!«
    Sie lacht. »Du hast dem Typen das Geld gezahlt?«
    »Klar hab ich es ihm gezahlt! Er wollte mich verprügeln!«
    »Er wollte dich nicht verprügeln«, sagt sie.
    »Ich dachte, du klaust nur Sachen, die keinen Wert haben«, bohre ich auf dem Rückweg durch den Markt.
    »Wir wollten sie ja auch nur ausleihen«, behauptet Lizzy steif und fest. »Er war jedenfalls derjenige, der sich total unmöglich benommen hat.«
    »Keine Ausreden«, verlange ich. »Keine nachträglichen Rechtfertigungen.«
    »Auch gut«, sagt sie. »Dann lass uns einfach weitergehen.«
    Ich bleibe kurz stehen, um die Kaumasse in meinem Mund in einen Mülleimer zu spucken. Razzles verlieren beklagenswert schnell ihren Geschmack. Lizzy und ich reden nicht miteinander, während wir die Stände abklappern. Immer wieder finden wir Leute, die kleine Becher oder Schälchen voller Schlüssel haben, und sofern sie uns die Schlüssel nicht kostenlos ausprobieren lassen, verlangt zumindest keiner mehr als fünfundzwanzig Cent von uns. Ein Mädchen mit einem großen Nasenring und ärmellosem Top, auf dem das Emblem der New York University abgedruckt ist, taucht andauernd an denselben Ständen wie wir auf und kauft jedes Mal Schlüssel. Irgendwann greifen sie und ich nach demselben Schlüssel und ich ziehe meine Hand zurück. Ich beuge mich zu Lizzy hinüber und flüstere: »Fragst du sie oder soll ich?«

    »Ich frage sie«, sagt Lizzy und tippt dem Mädchen auf die Schulter.
    Das Mädchen dreht sich um und schaut uns stirnrunzelnd an. »Was gibt’s?«, fragt sie.
    Lizzy deutet auf den Nasenring des Mädchens und fragt: »Tut das nicht weh, wenn du niest?«
    Ächz! Darum geht es doch gar nicht! Sie sollte fragen, weshalb die andere so viele Schlüssel kauft!
    Das Mädchen mustert Lizzy, dann schüttelt sie den Kopf. »Wieso? Willst du auch einen haben?«, erkundigt sie sich. »Er würde dir gut

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