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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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und sage: »Seit seinem 13. Geburtstag hat mein Vater geglaubt, er würde mit vierzig sterben. Er hat sein ganzes Leben danach gelebt. Er starb ein paar Monate vor seinem vierzigsten Geburtstag.« Lizzy legt ihre Hand wieder auf meinen Arm, aber ich schüttle sie ab. »Ihre Großmutter hat ihn verflucht!«
    Die Frau zuckt zusammen. Dann sagt sie: »Dieser schlimme Verlust tut mir sehr leid für dich. Aber Großmama hat ihn nicht verflucht. Wenn überhaupt, hat sie ihm einen Segen gegeben.«
    »Wie meinen Sie das?«, knurrt Lizzy.
    »Wir alle verhalten uns, als würden wir ewig leben. Wenn man weiß, dass es nicht so ist, sieht das Leben anders aus.«

    »Ja, kürzer!«, sagt Lizzy. »Jeremy, können wir jetzt gehen?«
    »Nur eines noch«, sage ich. »Wo sind die Schlüssel zu der Kassette, die mir mein Vater hinterlassen hat?«
    »Jeremy!«, sagt Lizzy. »Wie kannst du jetzt noch irgendwas glauben, was sie sagt?«
    Ich gebe keine Antwort. Die Frau schließt die Augen. In diesem Moment greift Lizzy nach einem Räucherstäbchen, das auf dem Stapel liegt, und stopft es sich in die Tasche. Es ist mir nicht mal peinlich.
    Madame Zaleski reißt die Augen wieder auf. Mit einer Stimme wie in Trance sagt sie: »Ihrr warrt dän Schlisseln, die ihrr ssucht, schon ssährr nahe. Ihrr wärrdet ssie finden, abärr ess wirrd viel Arrbeit ssein.« Sie schüttelt den Kopf, als wollte sie ihn wieder klar bekommen. Dann streckt sie die Hand aus und sagt: »Finf Dollarr, bitte.«
    »Das meinen Sie jetzt nicht ernst!«, sagt Lizzy. »Sie können von Glück reden, dass wir Sie nicht anzeigen! Los, komm, Jeremy.«
    Ich lasse mich von Lizzy zur Tür hinausführen. Die Frau versucht, uns nicht aufzuhalten. Wir überqueren die Strandpromenade, gehen ein paar Holzstufen hinunter und betreten den Strand. Die ganze Zeit murmelt Lizzy vor sich hin. »Die traut sich vielleicht was!«, und: »Am Schluss war dieser dämliche Akzent wieder da!«, und: »Wir sollten sie trotzdem noch anzeigen!«
    Ungefähr auf halber Strecke zum Wasser lasse ich mich in den Sand fallen. Er fühlt sich warm unter meinen Händen an. Lizzy setzt sich neben mich. »Bist du okay? Du hast keinen Ton gesagt.«
    Der Sand beginnt, vor meinen Augen zu verschwimmen,
und ich wische rasch die Tränen weg. »Es war bloß Zufall«, sage ich leise.
    »Was war bloß Zufall?«
    »Der Tod von meinem Dad. Er war nicht vom Schicksal dazu bestimmt, jung zu sterben. Es war bloß Zufall.«
    Lizzy antwortet nicht. Ich sehe ihr zu, wie sie nach einer Handvoll Sand greift und ihn zwischen den Fingern hindurchrieseln lässt. »Macht es das leichter oder schwerer?«
    »Ich weiß nicht. Anders, glaube ich. Mein Wunsch, zu erfahren, was in der Kassette ist, wird dadurch noch größer. Ich hoffe, dass zumindest ein Teil des Ganzen ein Brief ist, egal was sonst drin ist. Ich will wissen, was er gedacht hat, als er die Kassette für mich hergerichtet hat.«
    »Du weißt es doch schon. Auch wenn wir die Schlüssel nie finden. Du weißt schon, was er sich gedacht hat.«
    »Ach so?«
    Sie nickt.
    »Weißt du, was ich nicht weiß?«, sage ich.
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich weiß nicht, warum du dich heilen lassen wolltest.«
    »Ich auch nicht«, gibt sie zurück.
    »Ehrlich?«
    Sie nickt. »Weißt du immer, warum du irgendwas tust?«
    »Ja.«
    »Na, ich jedenfalls nicht.«
    »Und wie war’s?«
    »Es war … anders. Ich hab mich … ruhig gefühlt. Ungefähr eine Minute lang war mein Verstand ruhig.«
    Ein Weilchen sagen wir gar nichts. Ich schaue zwei Kindern zu, die unten am Wasser eine Sandburg bauen. Ein paar Sekunden
später spült die Brandung sie zur Hälfte weg. Aber es scheint den Kindern nichts auszumachen. Sie fangen einfach wieder von vorne an.
    »Was hältst du von dem, was die Wahrsagerin gesagt hat?«, frage ich. »Dass wir schon ganz nah an den Schlüsseln dran waren? Was heißt das? Unsere Wohnungen? Der Flohmarkt? Das Geschäft? Wenn sie in Harolds Büro waren, können wir eindeutig nicht noch mal hin.«
    »Wir dürfen gar nichts von dem glauben, was dieser Frau aus dem Mund kommt. Die wollte bloß ihre fünf Dollar. So, und jetzt los«, sagt Lizzy, steht auf und bürstet sich den Sand von den Beinen. »Schauen wir mal, ob wir uns in ein Spielkasino schummeln und ein paar Kröten gewinnen können!«
    »Hast du meiner Mutter nicht erzählt, du hättest die Zeiten, in denen du Dummheiten gemacht hast, hinter dir gelassen?«
    »Hey, in Europa dürfen noch Jüngere ins Spielkasino. Ich

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