Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
das wir unsere Freiheit wiederhaben, aber das Einzige, was ich empfinde, ist ein Gefühl des Verlusts.
»Keine Fahrten in der Limousine mehr?«, sagt Lizzy.
»Leider nein«, erwidert Mr Oswald. »Aber um Ihnen zu zeigen, wie sehr ich Ihre gute Arbeit zu schätzen weiß, möchte ich, dass Sie beide sich etwas aus meinen Regalen aussuchen. Was immer Ihnen gefällt.«
Lizzy steht schon halb.
Ich mache ebenfalls Anstalten, mich von meinem Stuhl zu erheben, zögere dann aber. »Müssen denn diese Sachen nicht noch zu den Leuten zurückgebracht werden, die sie als Kinder verpfändet haben?«
Mr Oswald schüttelt den Kopf. »Das Fernrohr war der letzte derartige Gegenstand. Der Rest hat über die Jahre in der üblichen Weise seinen Weg zu mir gefunden. Nur zu, schauen Sie sich alles an.«
Lizzy steuert schnurstracks auf die gruselige Puppe mit den blauen Augen zu. So etwas passiert vermutlich, wenn man als Kleinkind vom Vater Laster anstatt Puppen zum Spielen bekommt. Mr Muldoun schwört, dass er sie dazu bringen wollte, mit einer Barbiepuppe zu spielen, aber sie warf sie aus dem Fenster.
Ich suche die Regale ab, aber es gelingt mir nicht, etwas auszuwählen, das ich wirklich brauchen würde. Der alte Plattenspieler ist irgendwie cool, und auf einem Gestell steht ein riesenhaftes Wörterbuch, das sehr verlockend ist.
»Schwierig?«, will Mr Oswald wissen und tritt hinter mich.
»Ich kann mich einfach nicht entscheiden.«
»Wie wäre es mit diesem Koffer?«, schlägt er vor und zeigt auf einen stabilen Koffer auf dem untersten Regalbrett. »Sie könnten ihn für Ihre Reise benutzen.«
Ich hatte ihn vorher gar nicht bemerkt. Nun bücke ich mich, um ihn in Augenschein zu nehmen. Es ist einer dieser altmodischen Koffer, die mit Aufklebern von exotischen Häfen in der ganzen Welt übersät sind. Zuerst denke ich, der Koffer wäre lediglich auf alt getrimmt, aber bei genauerem Hinsehen stelle ich fest, dass die Aufkleber alle echt sind. Es stehen Daten von den Zwanziger- bis zu den Fünfzigerjahren drauf. Der Koffer ist eigentlich total cool. Ich könnte Bücher oder Comics darin aufbewahren. Oder alles Mögliche. »Danke!«, sage ich zu Mr Oswald. »Der ist toll.« Ich lege meine Hand um den Griff und denke, der Koffer lässt sich leicht aus dem Regal
ziehen. Stattdessen falle ich fast vornüber, als ich ihn anzuheben versuche.
»Ach, stimmt ja!«, sagt Mr Oswald. »Das tut mir leid. Ich hatte vergessen, dass ich da drin den ganzen Krimskrams aufbewahrt habe, den die Leute in den im Lauf der Jahre von mir gekauften alten Möbeln zurückgelassen hatten.«
Lizzy fragt: »Was verstehen Sie denn, bitte schön, unter Krimskrams?«
»Kleine Dinge wie Sicherheitsnadeln, Knöpfe, Schlüssel. Dinge, die dazu neigen, sich hinten in Schubladen festzusetzen. Es fällt mir schwer, Sachen auszusortieren.« Lizzy und ich wechseln einen aufgeregten Blick, während Mr Oswald leise lachend sagt: »Aber das hat Ihnen natürlich schon ein einziger Blick auf mein Haus verraten. Ich werde James bitten, den Koffer auszuleeren, und dann sind Sie …«
»Nein!«, schreien Lizzy und ich gleichzeitig.
Mr Oswald tritt einen Schritt zurück.
Eilig sage ich zu ihm: »Wenn Sie nichts dagegen haben, darf ich ihn dann mitsamt dem Krimskrams drin mitnehmen?«
»Ja, natürlich, aber warum?«
Ich mache den Mund auf und will eine Erklärung liefern, schaue aber erst zu Lizzy. Sie nickt, also sage ich: »Erinnern Sie sich an die Kassette, die ich Ihnen gezeigt habe? Die mit den vielen Schlüssellöchern?«
»Selbstverständlich. Eine interessante Kassette. Außergewöhnlich.«
»Na ja, wir haben genau genommen nur noch eine Woche, um die Schlüssel zum Öffnen zu finden.«
»Und Sie meinen, die könnten da drin sein?« Er wirft einen skeptischen Blick auf den Koffer.
»Wir haben schon die Hälfte aller Schlüssel in dieser Stadt ausprobiert«, sagt Lizzy. »Es ist also einen Versuch wert.«
»Dann nehmen Sie die Sachen unbedingt mit. Als Sammler habe ich natürlich viel übrig für eine spannende Suche. Ich möchte wetten, bei Ihrem Vater war es genauso, Jeremy, nach allem, was Sie mir von ihm erzählt haben.« Er klopft mir auf die Schulter. »Ich bewundere ein solches Engagement. Sein Leben lang nach einer einzelnen Briefmarke zu forschen. Normale Leute mögen so etwas für frustrierend halten, aber das ist es nicht. Die Suche an sich macht Freude. Sie ist aufregend.«
Ich nicke. »So hat er’s auch gesehen. Weißt du noch,
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