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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Mom ihre »Frauensachen« unter dem Waschbecken aufbewahrt, aber ich habe nie auch nur einen Blick auf die Schachteln geworfen, um vielleicht zu erfahren, was drin ist. Als ich wieder in meinem Zimmer bin, höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Einen Moment später klopft Mom an meine Tür.
    »Ich wollte mich nur vergewissern, ob es dir gut geht«, sagt sie und setzt sich zu mir aufs Bett.
    Ich lege den Comic weg, den ich gerade lese, und nicke unsicher. »Ich glaube, es ist bloß alles etwas komisch.«
    Sie nickt. »Ich weiß. Ihr zwei werdet so schnell erwachsen. Du bist schon viel größer als ich und jetzt diese Geschichte mit Lizzy.« Ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Wo ist die Zeit geblieben? Bald ziehst du weg und gehst aufs College.«
    Man kann nicht vernünftig mit ihr reden, wenn sie solche sentimentalen Anwandlungen hat. Ich schaue die ganze Zeit weiter in den Comic auf meinem Schoß, während sie sich über die davonrennende Zeit auslässt. Schließlich kapiert sie. Ich schreibe eine Nachricht an Lizzy, in der ich mich dafür entschuldige, dass ich mich komisch benommen habe, aber als ich den Zettel ins Loch zu stecken versuche, lässt er sich nicht durchschieben. Ich stopfe ihn noch mal hinein, aber es klappt wieder nicht. Daraufhin hole ich den Zettel heraus und lege mein Auge ans Loch. Kein Wunder, dass es nicht funktioniert! Anstatt die Rückseite des Posters zu sehen, das da normalerweise hängt, erkenne ich lediglich einen Pfropfen aus Alufolie. Ich klopfe zweimal an die Wand, aber Lizzy reagiert nicht. Ich überlege, ob ich ihr eine E-Mail schreiben soll, aber wir mailen uns nie.
    Der Koffer neben meiner Tür sendet Locksignale aus. Wenn
Lizzy mir die kalte Schulter zeigt, kann ich mir jetzt ebenso gut einen Vorsprung mit den Schlüsseln verschaffen. Ich knie mich hin und entriegle den Koffer. Sobald ich ihn aber aufklappe, ist mir klar, dass ich nichts unternehmen werde. Wir waren von Anfang an zusammen in dieser Sache. Es wäre einfach nicht richtig. Stattdessen fange ich an, für unsere Reise zu packen.
    Es ist schon fast Mittag, als Lizzy am nächsten Tag herüberkommt. »Hey«, sagt sie und lehnt sich an meinen Schreibtisch. Sie sieht kein bisschen verändert aus.
    »Hey.«
    Sie entdeckt den gepackten Seesack am Fußende meines Betts. »Alles schon fertig?«
    »Jep. Und du?«
    »Nö.«
    Ich bin es nicht gewöhnt, dass irgendetwas zwischen uns steht, und hoffe, es geht bald vorüber.
    »Also, es tut mir leid mit der Alufolie«, sagt sie.
    »Schon in Ordnung.«
    »Ich weiß nicht, ich brauche einfach ein bisschen Privatsphäre, glaube ich. Nur für ein Weilchen.«
    »Verstehe.«
    »Gut.«
    Plötzlich habe ich wieder dieses Gefühl von Peinlichkeit, genau wie gestern Abend. Ich muss irgendwie ausbügeln, dass ich mich einfach verkrümelt habe. »Geht’s dir … geht’s dir besser?«
    Sie nickt. »Ich hab leichte Krämpfe, aber es geht mir besser. Deine Mom hat mir echt geholfen. Mein Dad war am Ausflippen. Er ist im Wohnzimmer immer im Kreis gerannt. Es war ziemlich witzig.«

    »Na ja, meine Mom ist danach auch leicht ausgeflippt. Dass wir älter werden und so.«
    »Genug Probleme gewälzt!«, sagt Lizzy und setzt sich neben dem Koffer auf den Fußboden. »Lass uns loslegen mit der Arbeit.«
    Erleichtert, dass wir nicht mehr darüber reden müssen, hole ich schnell die Kassette vom Schreibtisch und setze mich zu Lizzy. Vom Boden des Koffers glotzen uns alle erdenklichen Arten von Schlüsseln entgegen. Messing- und kupfer- und silberfarben und gelb, ein paar sogar durchsichtig. Große und kleine und dicke und dünne. Einige sind so verrostet, dass sie uns fast in den Händen zerfallen, während andere aussehen, als wären sie erst vor einem Jahr geprägt worden. Lizzy und ich prallen laufend zusammen, als wir die Schlüssel in die Schlüssellöcher zu stecken versuchen, aber es würde viel zu lange dauern, das nacheinander zu machen. Bald entwickeln wir einen Rhythmus und jetzt stoßen unsere Ellbogen nur bei jedem vierten oder fünften Schlüssel gegeneinander. Mom, die heute frei hat, bringt uns zum Mittagessen überbackene Käsesandwichs. Wir legen nur Pausen ein, wenn einer von uns zum Klo rennen muss.
    Um vier Uhr nachmittags geschieht das Wunder. Einer meiner Schlüssel lässt sich vollständig ins Loch schieben. Ich packe Lizzys Arm und sie erstarrt.
    »Tu’s«, sagt sie. »Dreh ihn um.«
    Ich hole tief Luft und drehe den Schlüssel nach rechts. Nichts passiert. »Zur

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