Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
abhängen.
Die wissenschaftlichen Bezeichnungen für die Hormone, die uns »hungrig« und »satt« signalisieren, lauten Ghrelin und Leptin. Vielleicht sind Ihnen diese beiden Verdauungshormone in letzter Zeit in Medienberichten begegnet, denn nach neueren Forschungsarbeiten haben sie viel Aufmerksamkeit erfahren. Sie sind das Yin und Yang unseres Essverhaltens, denn sie sagen uns im Prinzip »Iss!« oder »Hör auf zu essen!«. Wie bei vielen Hormonen treten sie paarweise auf, haben aber entgegengesetzte Funktionen. Ghrelin (das »Iss!«-Hormon) wird vom Magen ausgeschüttet, wenn er leer ist, und steigert den Appetit. Es sendet dem Gehirn die Nachricht, dass wir essen müssen, und ist sozusagen das Gaspedal. Wenn unser Magen dann gefüllt ist, sezernieren die Fettzellen das Gegenhormon Leptin, und unser Gehirn erhält die Botschaft, dass wir aufhören sollen zu essen. Leptin ist also das Bremspedal. Bekannt geworden sind beide in letzter Zeit durch den Nachweis, dass schlechter oder nicht ausreichender Nachtschlaf zu einem Ungleichgewicht zwischen Ghrelin und Leptin führt. Wenn man nur zwei Nächte lang lediglich vier Stunden Schlaf bekommt, sinkt der Leptinwert um 20 Prozent, und der des Ghrelins steigt an. Das Essverlangen steigt um 24 Prozent; die Probanden verspüren Appetit auf kalorienreiche, kohlenhydrathaltige Nahrungsmittel wie Süßigkeiten, Salzgebäck und stärkehaltiges Essen. Schlafentzug unterbricht im Prinzip die Verbindung zwischen Gehirn und Magen und führt zu »hirnlosem Essen«. Unser Körper glaubt fälschlicherweise, hungrig zu sein, und verlangt überdies nach ungesundem Essen.
Nicht nur die Schlafgewohnheiten, sondern auch Umweltfaktoren, Ernährung, Sport, Stress und unsere Gene können die Produktion von Leptin und Ghrelin beeinflussen. Wir wissen zwar nicht genau, wie diese Faktoren auf die Hormone einwirken, aber die Tatsache an sich zeigt, wie viele biologische Faktoren in unser Verhalten einfließen, das wiederum unser Wohlbefinden beeinflusst. Wenn wir das parallele Auftreten geradezu epidemischen Übergewichts und von allgemein zu wenig Schlaf in der Bevölkerung betrachten, müssen wir uns fragen, ob Schlaf nicht die beste Diät ist. 65 Prozent der Amerikaner sind übergewichtig oder krankhaft fettleibig, was auffällig mit den 63 Prozent derjenigen erwachsenen US-Bürger übereinstimmt, die weniger als die empfohlenen acht Stunden pro Nacht schlafen. Der Durchschnittserwachsene schläft wochentags nur 6,9 und am Wochenende 7,5 Stunden, durchschnittlich also sieben Stunden.
Eine Verbindung zwischen Übergewicht und Schlafmangel ist in mehreren Studien nachgewiesen worden. Eine davon, durchgeführt an der New Yorker Columbia University, stützte sich auf Regierungsdaten zu 6115 Probanden, um Schlafgewohnheiten und Übergewicht miteinander zu korrelieren. Es zeigte sich, dass Menschen, die nur zwei bis vier Stunden pro Nacht schlafen, ein um 73 Prozent höheres Fettleibigkeitsrisiko haben als andere, die sieben bis neun Stunden Schlaf bekommen. Wer pro Nacht fünf Stunden schläft, hat ein entsprechendes Risiko von 50 Prozent, bei sechs Stunden Schlaf sind es 23 Prozent; wer über zehn Stunden täglich schläft, hat ein um 11 Prozent geringeres Übergewichtsrisiko.
Oberflächlich gesehen wirkt das womöglich widersinnig. Denn die meisten Menschen nehmen an, dass zu viel Schlaf eher dick mache, aber alle Studien deuten auf das Gegenteil, und das ergibt auch durchaus einen Sinn: Bei Schlafmangel isst man mehr, weil man hungriger wird, länger wach ist und überall von Essen verführt wird. Meist nimmt man in den zusätzlichen Wachstunden weit mehr Kalorien auf, als man verbrennt. Denn diese Zeiten, in denen man eigentlich schlafen sollte, verbringt man oft ziemlich bewegungslos bei energiesparenden Freizeitaktivitäten wie Fernsehen, Lesen, Internetsurfen oder dem Beantworten von E-Mails. Vielleicht verbrennt man in einigen Stunden um die 50 Kalorien, aber die Hormonveränderungen bringen einen dazu, weit mehr als 50 Kalorien zu essen.
Umfassende Forschungsdaten belegen inzwischen, dass unregelmäßige Veränderungen des Cortisolspiegels, die zusätzlich zu den Appetithormonschwankungen auftreten, mit Depressionen zusammenhängen. Solche Cortisolschwankungen können das Ergebnis unregelmäßiger Schlafphasen sein. Das ist eine weitere Störung, die mit der Übergewichtsepidemie einhergeht. Depressionen werden unsere Welt in naher Zukunft stark beeinflussen. Die
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