Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
Geräte, machen noch das kleinste Zeitfenster unterhaltsam und potenziell produktiv. Aber diese digitalen Helfer ständig zu gebrauchen hat eine unerwartete Nebenwirkung: Wenn das Gehirn unablässig digitalem Input ausgesetzt ist, haben wir keine Ruhepausen mehr, in denen wir das Empfangene auch verarbeiten und vielleicht selbst etwas Output erzeugen können. Es folgen einige Beispiele, die belegen, dass es seinen neurologischen Preis hat, wenn man sich keine Ruhepausen mehr gönnt:
Forscher der University of California in San Francisco stellten fest, dass Ratten, die eine neue Erfahrung machen, etwa wenn sie einen unbekannten Bereich erkunden, neue Aktivitätsmuster im Gehirn zeigen. Nur wenn die Ratten nach der Erkundungsphase eine Pause bekommen, können sie diese Muster so verarbeiten, dass aus der Erfahrung eine permanente Erinnerung wird. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses Ergebnis auf den Menschen übertragbar ist. Ruhepausen lassen das Gehirn zum Durchatmen kommen; es kann die Erfahrungen verarbeiten, konsolidieren und in dauerhafte Erinnerungen umsetzen. Wenn es aber ununterbrochen stimuliert wird, könnte das diesen Lernprozess verhindern.
Forscher der University of Michigan entdeckten 2008 einen deutlichen Unterschied zwischen ausgeruhten und erschöpften Gehirnen. Ihre Studie ergab, dass man nach einem Spaziergang im Grünen signifikant besser lernen kann als nach einem in der reizüberfluteten Innenstadt. Wenn das Gehirn ständig Informationen verarbeiten muss, wird es offensichtlich müde. Also fühlt man sich zwar beim Multitasking vielleicht unterhalten, womöglich sogar entspannt, wenn man beim Warten in der Kassenschlange schnell über das Smartphone einen Videoclip abruft oder die E-Mails nachsieht, aber man beansprucht sein Gehirn vielleicht mehr, als man abschätzen kann.
Die Moral der Geschichte ist natürlich, dass wir alle hin und wieder eine Auszeit brauchen, und das wahrscheinlich öfter, als den meisten von uns angesichts der Menge an Zerstreuungen, die zur Verfügung stehen, lieb wäre. Die Entwickler mobiler Softwareanwendungen werden ihre Jobs garantiert nicht an den Nagel hängen, und sie werden immer mehr Wege finden, jede Minute (manchmal sogar Sekunde) unserer Zeit mit stimulierenden Aktivitäten zu füllen. Wie viel Cortisol strömt wohl jeden Morgen angesichts des unvermeidlichen Stapels neuer E-Mails, die alle beantwortet werden wollen, in unseren Organismus?
Welche Folgen es hat, wenn man sich in ein digitales Multitasking-Arbeitstier verwandelt, haben andere Autoren bereits geschildert, aber ich möchte gerne einige für unsere wie besessen nach ständiger Erreichbarkeit strebende Gesellschaft relevante Beobachtungen hinzufügen. Wissenschaftler der Stanford University konnten beispielsweise zeigen, dass intensive Multimedia-Nutzer Schwierigkeiten beim Herausfiltern irrelevanter Informationen sowie bei Konzentrationsaufgaben haben. Das wiederum beeinträchtigt die Produktivität. Laut anderen Studien wird beim intensiven Videospielen möglicherweise Dopamin freigesetzt, was zu Suchtverhalten führen kann. Wir fangen zwar gerade erst an, die Auswirkungen unserer heutigen Lebensweise auf das Gehirn zu verstehen, aber man sollte immer daran denken, dass es nur jeweils einen Informationsstrom gleichzeitig verarbeiten kann. Versucht man es mit mehreren gleichzeitig, erlebt man dasselbe, als wenn man bei einem Abendessen in Gesellschaft allen Tischgesprächen gleichzeitig zuhören wollte: Es geht nicht. Überträgt man das auf Multitasking bei der Arbeit, wo man oft genug mit mehreren Kollegen gleichzeitig kommuniziert oder E-Mails beantwortet, während man telefoniert, bedeutet das, dass das Gehirn ununterbrochen und in sehr kurzen Abständen zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herschalten muss, was unweigerlich die Produktivität mindert.
Der Journalist Matt Richtel gewann 2010 den Pulitzerpreis für die beste Reportage (Inland) für seine Artikelserie »Driven to Distraction« (etwa »In alle Winde zerstreut«) in der New York Times. Er befasste sich darin mit der problematischen Kollision von Technologien des 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere von Autofahren und Multitasking. Seine Zusammenfassung des Forschungsstands ist ziemlich erhellend. Einige seiner Thesen sollten Eltern wirklich zu denken geben: Intensiver Gebrauch technologischer Geräte kann in der Kindheit das Stirnhirn permanent verändern. Außerdem berichtet Richtel darüber, wie Suchtverhalten
Weitere Kostenlose Bücher