Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
Beispiel, eine seltene Form der Leukämie, bedeutete für die Patienten bis vor Kurzem noch den sicheren Tod, außer bei einer kleinen Anzahl, die mit Knochenmarktransplantationen gerettet werden konnte. Als die Food and Drug Administration (FDA), die US-Lebensmittel- und Medikamentenbehörde, dann im Mai 2001 das Medikament Glivec (Markenname für Imatinib) genehmigte – es wurde noch im selben Monat auf dem Titelblatt des Time- Magazins als »Wunderwaffe« gegen den Krebs angekündigt –, bekamen wir ein Mittel an die Hand, das den meisten Patienten hilft und bemerkenswert erfolgreich ist. Imatinib heilt die für diese Krankheit charakteristische Chromosomendeformation (eine reziproke Verlagerung zwischen Chromosom 9 und 22). Bei klinischen Versuchsreihen erzielte Glivec über 90 Prozent Erfolg: Die Patienten erhoben sich buchstäblich vom Sterbebett und kehrten in ein normales Leben zurück, nachdem sie dieses kleine Molekül eingenommen hatten, das relativ geringe Nebenwirkungen hat. Aber bei allen häufigen Karzinomen – denen der Lunge, des Dickdarms, der Brust, der Prostata, des Gehirns und so weiter – sind unsere Fortschritte bei der Senkung der Sterberate geradezu erbärmlich.
Jedes Mal, wenn ich die oben wiedergegebene Grafik »Veränderungen der Sterberaten in den USA nach Ursachen« vor einem Publikum zeige, höre ich ungläubiges Stöhnen. Wie kann das sein? Was haben wir in der Forschung falsch gemacht? Stimmt etwas mit den Daten nicht, oder hat die Tabelle einen Tippfehler? Seitdem ich die Grafik bei meinem Vortrag auf der TEDMED 2009 gezeigt habe, der immerhin noch 37 weitere Grafiken umfasste, habe ich Hunderte von E-Mails zu genau dieser Tabelle erhalten. Viele klingen aggressiv, beschuldigen mich des Pessimismus und unterstellen, ich würde die Daten manipulieren. Ich wünschte mir ja auch, aus meinem Fachgebiet bessere Neuigkeiten mitteilen zu können.
Die Tabelle zeigt jedenfalls den tiefgreifenden Effekt von Medikamenten wie etwa den Cholesterinsenkern auf Herzkrankheiten und Schlaganfälle. Antibiotika und antivirale Mittel, einschließlich Impfungen, haben viel im Kampf gegen Lungenentzündung und Infektionen geleistet. Selbst bei der Betrachtung der Krebshäufigkeit weltweit stößt man immer wieder auf Statistiken, die allen Klischees widersprechen. In einigen schwarzafrikanischen Ländern, wo wir eher an AIDS und andere für unterentwickelte Länder typische Infektionskrankheiten denken, sterben mehr Menschen an Krebs als an HIV, Tuberkulose und Malaria zusammen. Im Jahr 2010 haben chronische Krankheiten global die Infektionskrankheiten als häufigste Todesursache überholt. Dieses Problem ist also nicht nur ein amerikanisches, sondern eines der ganzen Menschheit.
Der ausbleibende Rückgang der Krebssterberate ist ein Alarmzeichen. Worauf ich Sie hier aber eigentlich hinweisen möchte, ist, dass Antibiotika und antivirale Medikamente nicht auf den menschlichen Körper zielen, sondern auf den von außen eindringenden Organismus, also den Krankheitserreger. Cholesterinsenker dagegen beeinflussen das System des Körpers auf eine Weise, die wir gerade besser verstehen lernen. Entgegen einer verbreiteten Ansicht senken sie nicht nur das Cholesterin über einen einzelnen Weg oder einen einzigen Angriffspunkt im Körper, sondern sie haben einen tiefgreifenden Effekt auf das ganze System; sie vermindern Entzündungen und verändern die gesamte Umwelt des Körpers. Auch Vakzine beeinflussen das System, aber auf eine ausgetüftelte Art und Weise – sie aktivieren künstlich das Immunsystem, indem sie vortäuschen, ein fremder Organismus sei in den Körper eingedrungen.
In der Einleitung habe ich betont, dass dies kein »Krebsbuch« sei, aber ich muss auf meine Erfahrungen als Onkologe zurückgreifen, um Ihnen einige wesentliche Konzepte zu erläutern. Unsere Beziehung zur Gesundheit lässt sich tatsächlich auf das Studium der Krebserkrankungen zurückführen. Wenn wir unser Verständnis des Phänomens Krankheit in seiner historischen Entwicklung betrachten, sehen wir, wie und warum wir vom richtigen Weg abgekommen sind. Wir können die Denkprozesse und falschen Vorstellungen ausmachen, denen wir blind gefolgt sind und die unser Bemühen um medizinischen Fortschritt und damit auch unser individuelles Ziel bestmöglicher Gesundheit zunichtemachen. Positiv ist immerhin, dass wir jetzt allmählich sehen, welche Richtung wir einschlagen müssen und wie wir zu einem neuen
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