Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
Medizinverständnis gelangen können, das für jeden Menschen einen eigenen Gesundheitsbegriff zulässt. Wir können tatsächlich einen Punkt erreichen, von dem aus wir wirkliche Fortschritte im »Krieg« gegen sämtliche Krankheiten machen können.
Was ist eigentlich Krebs? Wenn bei Ihnen ein Tumor oder ein abnormales Blutbild festgestellt wird, überweist man Sie wahrscheinlich an einen Facharzt, der eine Kanüle in Ihren Körper sticht, eine Gewebeprobe entnimmt und diese an den Pathologen weiterleitet. Der Pathologe (den Sie wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen) sucht dann nach einem bestimmten Muster, denn die heutige Krebsdiagnose arbeitet auf der Basis der Mustererkennung: Sehen die Zellen normal oder abnormal aus?
Zum Vergleich können wir uns eine Plastikwasserflasche vorstellen: Es ist so, als ob der Pathologe sich eine unbeschädigte Plastikwasserflasche ansieht und sie für normal erklärt. Dann sieht er sich eine zerknüllte Plastikflasche an und erklärt sie für abnorm. Genauso geht es auch mit den Zellen der Gewebeprobe. Das ist heutzutage der Stand der Medizin in der Krebsdiagnose. Es gibt weder molekularpathologische Untersuchungen noch eine Gensequenzierung. Auch die Chromosomen werden nicht untersucht. Das ist unsere Methode.
Eine Krebsperspektive
Krebs ist, wie schon gesagt, eine große Metapher für alles, was mit Krankheit zu tun hat. Er ist der Erzfeind jedes Menschen, das Symbol alles »Schlechten«, wenn es um Gesundheit, Glück und natürlich ein langes Leben geht. Jeder hat Angst davor, plötzlich zu erfahren, dass sich der eigene Körper gegen einen gewendet hat – dass der Krebs zugeschlagen hat und die Zukunft auf einmal ungewiss ist. Diese Ungewissheit kann furchtbar sein. Plötzlich kann man Fragen nicht mehr beantworten, zum Beispiel Wann werde ich den Krebs hinter mir haben? Wann werde ich sterben?
Das Perfideste am Krebs ist sein Wesen: Er entsteht aus uns selbst – es sind unsere eigenen Zellen, die Amok laufen. Es gibt keine Eindringlinge von außerhalb. Keine Bazillen, kein Virus, das selbst überleben will und dessen DNA sich von unserer unterscheidet. Krebs ist wie ein schlafender Riese, der in uns allen schlummert. Manchmal erwacht er kurz, dann entsteht eine Ansammlung sonderbarer Zellen, die man Tumor nennt. Meistens wird er aber schnell wieder gezähmt und vom Arsenal der körpereigenen Verteidigungsmechanismen in den Schlaf gewiegt. Manchmal aber, oft dann, wenn wir es am wenigsten erwarten, gelingt es dem Riesen, an unseren vertrauenswürdigen Torhütern vorbeizukommen. In der Verteidigung läuft etwas schief und bringt die sonst so zuverlässige Automatik aus dem Gleichgewicht. Das führt dann zu Zellfehlfunktionen, die Krebstumore hervorrufen. Krebs stellt uns vor Probleme, die bei anderen Krankheiten nicht auftreten, besonders nicht bei solchen, die offensichtlich von außen kommen. Dennoch bleibt die Frage, warum wir bei der Erforschung und Bekämpfung von Krebs kaum einen Fortschritt erzielen, und sei er auch noch so klein und langsam.
Im Jahr 2009 sagte ich auf einer Tagung der American Association for Cancer Research in Denver vor Tausenden Kollegen geradeheraus: »Wir haben einen Fehler gemacht.« Wir alle, auch ich, haben einen Fehler gemacht, indem wir uns auf die Einzelheiten der Krankheit konzentriert und damit unser Blickfeld eingeengt haben. Ich schlug vor, wir sollten einen großen Schritt zurückgehen und die Krankheit aus ein paar Kilometern Entfernung betrachten. Dann sagte ich noch etwas, das die Zuhörer gegen mich aufbrachte: »Wir müssen den Krebs nicht unbedingt verstehen, um ihn zu kontrollieren.« Das Zischen, das ich aus dem Publikum hörte, klang ziemlich entmutigend. Die Kollegen waren empört, aber ich musste sie unbedingt darauf aufmerksam machen, wo wir als Ärzte – und als Angehörige der Gesellschaft – fehlgegangen waren, denn so konnten wir wieder auf die richtige Spur zurückkommen. Ich war an diesem Abweichen genauso mitschuldig wie alle anderen. Ich ließ allerdings das Publikum nicht ohne Begründung. Ich wusste, dass ich ihm eine Erklärung für meine Behauptungen liefern und zumindest ein wenig Hoffnung für die Zukunft machen musste. Ich erklärte also, wie wir uns in der Naturwissenschaft an eine bestimmte Denkweise gewöhnt haben, die Entdeckungen entstammt, die vor langer Zeit gemacht worden sind.
Es war sehr mühsam für uns, über die Bazillentheorie hinwegzukommen, die die Medizin im 20. Jahrhundert
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