Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
Belege für die Schädigung auch schon bei jüngeren Spielern und nicht nur NFL-Veteranen, da die Läsionen sich frühzeitig anhäufen.
Bei Thomas war weder im Sport noch im sonstigen Leben jemals eine Gehirnerschütterung diagnostiziert worden, er hatte nicht einmal Kopfschmerzen gehabt. Allerdings war er von seiner Persönlichkeit her niemand, der sich wegen solcher Symptome hätte auswechseln lassen, er hätte weitergespielt. Seine CTE – deren einzige bekannte Ursache die wiederholten Gehirntraumata sind – muss sich aus Gehirnerschütterungen entwickelt haben, die er ignorierte, oder auch aus den Tausenden ohne Gehirnerschütterung abgegangenen Zusammenstößen, die er in seinen zwölf Jahren als Footballer mitgemacht hatte, und zwar größtenteils in einer Periode, in der sein Gehirn sich noch entwickelte.
Thomas hatte sein Leben im Griff; er war nicht der Typ Student, der unweigerlich irgendwann in der Selbstmordstatistik auftaucht. Er war intelligent genug für die Wharton School der University of Pennsylvania, einen der besten BWL-Studiengänge des Landes. Er spielte im Erstsemester-Footballteam und danach die letzten beiden Spielzeiten im Universitätsteam, den Quakers, die 2009 Vizemeister unter den Ivy-League-Hochschulen und danach Meister wurden. Thomas war populär, charismatisch und erfolgreich; er hinterließ keinen Abschiedsbrief und trug noch sein Mobiltelefon in der Tasche, als er starb – ein mögliches Zeichen für eine impulsive, unüberlegte Handlung. Fehlende Impulskontrolle ist eine durchgängige Manifestation eines Kontrollverlusts im Gehirn durch CTE. Diese Krankheit führt zur Einlagerung verdrillter proteinartiger Gebilde im Stirnlappen der Großhirnrinde, die den Plaques gleichen, wie sie sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten finden. Diese eingelagerten Proteinkomplexe minderten Thomas’ Fähigkeit zu rationaler Überlegung.
Die Geschichte wird hier nicht in erster Linie wegen der Vorgeschichte von Thomas’ seltener Erkrankung und seines Selbstmordes erzählt, sondern um zu demonstrieren, wie fragil der menschliche Körper (und in diesem Fall das menschliche Gehirn) auf chronische Entzündungen reagiert. Als aktiver Footballspieler litt Thomas unter ständigen Entzündungen, die seine Gehirnchemie veränderten. Könnten sein Erbgut und andere Umweltfaktoren wie psychischer Stress als Katalysator gewirkt haben? Wir können zwar diese anderen potenziellen Faktoren als Teil der Todesursache nicht ausschließen, dürfen aber die ständigen Entzündungen als zugrunde liegende Ursache nicht ignorieren. Hinter der CTE verbirgt sich eine Entzündung, die im Gehirn dauerhafte und in manchen Fällen katastrophale Schäden anrichten kann, selbst bei jungen Menschen.
Gott sei Dank gibt es Nonnen
Das Gehirn ist ein wunderschöner Mikrokosmos des Körpers – ein ungeheuer komplexes Organ, das wir noch kaum verstehen. Womöglich benutzen wir nur einen Bruchteil seiner Kapazität, aber folgenschwerer ist, dass wir auch nur einen Bruchteil seiner Funktionen und der Ursachen für Störungen und Demenz verstehen. Obwohl inzwischen in der Medizin weitgehend akzeptiert ist, dass Entzündungen eine Ursache dafür sind, dass Gehirnerkrankungen entstehen und sich ausbreiten, fehlen uns immer noch die Daten, um vollständig zu verstehen, warum ein Gehirn im konkreten Einzelfall versagt, manchmal schon in jungen Jahren, wenn alle anderen noch gesund und auf Draht sind. Der Mangel an Forschungsergebnissen im letzten Jahrhundert liegt teilweise an der zu geringen Zahl gespendeter Gehirne. Hoffnung geben uns in letzter Zeit allerdings einige mildtätige Nonnen und andere Spender, denen wir für ein besseres zukünftiges Verständnis unseres Gehirngewebes danken können.
Eine der interessantesten je an Gehirnen durchgeführten Studien war die 1986 von David Snowdon an der University of Kentucky begonnene sogenannte Nonnenstudie. Snowdon wollte feststellen, wie man auch bei fortschreitendem Alter eine hohe Lebensqualität bewahren kann. Dazu untersuchte er Hunderte von Nonnen, die sich bereit erklärten, Tests mitzumachen, Fragebögen auszufüllen und nach dem Tod ihre Gehirne zur Autopsie freizugeben, damit sie auf die typischen Plaques der Alzheimer-Krankheit untersucht werden konnten. Ein verbreiteter Witz unter den an der Studie teilnehmenden Nonnen wurde zum Schlachtruf: »Wenn wir sterben, kommen unsere Seelen in den Himmel, aber unsere Gehirne nach Kentucky.«
Die Nonnen waren ideale Probanden
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