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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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solchen Beruf zu träumen. Eduardo Zalamea stimmte mit mir überein: nein. Auch er meinte, dass die bei den Lesern so beliebte Kriminalchronik ein problematisches Genre sei, das ein besonderes Naturell und ein starkes Herz erfordere. Ich habe mich nie mehr darin versucht.
    Eine ganz andere Art von Wirklichkeit brachte mich dazu, Filmkritiker zu werden. Ich wäre selbst nie darauf gekommen, aber in Aracataca, im Kino Olympia von Don Antonio Daconte, und später in den spontanen Lehrveranstaltungen von Álvaro Cepeda hatte ich eine Ahnung von den Kriterien vermittelt bekommen, die zur Beurteilung von Filmen sinnvoller waren als die bisher in Kolumbien üblichen. Ernesto Volkening, ein großer deutscher Schriftsteller und Literaturkritiker, der sich während des Zweiten Weltkriegs in Bogotá niedergelassen hatte, kommentierte in Radio Nacional die Filmpremieren, doch seine Sendung erreichte nur Eingeweihte. Es gab noch einige exzellent, aber nur gelegentlich schreibende Filmrezensenten im Umkreis des katalanischen Buchhändlers Luis Vicens, der seit dem spanischen Bürgerkrieg in Bogotá lebte. Vicens hatte den ersten Filmklub mit Unterstützung des Malers Enrique Grau und des Kritikers Hernando Salcedo sowie durch die Tatkraft der Journalistin Gloria Valencia de Castano Castillo gegründet, die den Mitgliedsausweis Nummer eins erhielt. Es gab im Land ein riesiges Publikum für große Actionfilme und rührselige Melodramen, doch künstlerisch wertvolle Filme sprachen nur gebildete Filmfreunde an, und die Kinos gingen immer seltener das Risiko ein, einen Film eventuell nur drei Tage im Programm zu haben. Aus der gesichtslosen Masse der Kinogänger ein neues Publikum zu rekrutieren erforderte ein beschwerliches, aber mögliches pädagogisches Vorgehen, um Zuschauer für gute Filme zu gewinnen und damit die Kinobetreiber zu unterstützen, die zwar bereit waren, solche Filme zu zeigen, das aber nicht finanzieren konnten. Die größte Schwierigkeit war, dass die Betreiber damit drohten, keine Kmoanzeigen mehr zu schalten - eine wichtige Einnahmequelle für die Zeitungen -, sollten die Filmkritiken schlecht sein. El Espectador ging als erste Zeitung dieses Risiko ein und betraute mich mit der Aufgabe, die neu angelaufenen Filme der Woche zu besprechen; es ging dabei eher um einen Leitfaden für Filminteressierte als um päpstliche Urteilssprüche. Vorsichtshalber beschlossen wir gemeinsam, ich solle meine Freikarten nie ausnützen, sondern mit einer am Schalter gekauften Karte ins Kino gehen.
    Meine ersten Artikel beruhigten die Kinobetreiber, da ich über eine interessante französische Filmreihe berichtete. Gezeigt wurde unter anderem Puccini, eine ausführliche Lebensdarstellung des großen Komponisten, Goldene Höhen, die gut erzählte Geschichte der Sängerin Grace Moore, und Auf den Straßen von Paris, eine friedliche Komödie von Julien Duvivier. Die Impresarios, die wir am Kinoausgang trafen, äußerten sich wohlwollend über unsere Filmkritiken. Alvaro Cepeda dagegen weckte mich um sechs Uhr morgens von Barranquilla aus, als er von meiner Kühnheit erfahren hatte.
    »Wie kommen Sie, verdammt noch mal, dazu, ohne meine Erlaubnis Filme zu besprechen?«, fragte er unter brüllendem Gelächter am Telefon. »Sie haben von Kino doch keine Ahnung!«
    Er wurde dann natürlich zu meinem ständigen Assistenten, obwohl er kein Verständnis dafür hatte, dass es nicht darum ging, eine Richtung durchzusetzen, sondern vielmehr darum, ein allgemeines, nicht akademisch gebildetes Publikum an die Filme heranzuführen. Die Flitterwochen mit den Impresarios waren auch nicht so innig, wie wir am Anfang gedacht hatten. Als wir uns nämlich mit dem rein kommerziellen Kino auseinander setzten, beklagten sich auch die Verständnisvollsten über die Härte unserer Kritik. Eduardo Zalamea und Guillermo Cano waren geschickt genug, sie am Telefon hinzuhalten, bis ein Kinobetreiber, der sich als Anführer aufspielte, uns Ende April in einem offenen Brief anklagte, das Publikum zu drangsalieren und dessen Interessen zu schaden. Der Kern des Problems schien mir darin zu liegen, dass der Briefschreiber nicht wusste, was das Wort drangsalieren bedeutete, doch ich fühlte mich kurz vor der Niederlage, weil ich es nicht für möglich hielt, dass Don Gabriel Cano in einer Wachstumskrise der Zeitung aus rein ästhetischen Erwägungen auf die Kinoanzeigen verzichten würde. Er rief noch an dem Tag, als er den Brief empfangen hatte, seine Söhne und Uhses

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