Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
legte ich meine Blumensträuße vor die Grabsteine und richtete mich nachdenklich wieder auf. In diesem Moment steht man vor den Verstorbenen und ist der Wahrheit näher als irgendwo anders. Ich hatte erwartet, dass mich ein Besuch auf dem Friedhof innerlich zerstören und mir noch deutlicher machen würde, was passiert war und wie es um mich stand. Doch war genau das Gegenteil der Fall. Ich betrachtete die Gräber und fühlte mich gut dabei, diesen Schritt gewagt zu haben. Ich fühlte mich meiner Familie unglaublich nahe und war überzeugt davon, dass ich mit dem Ändern meines Lebens genau das Richtige tat. Ich begann mich für die letzten Wochen zu schämen und dafür, dass ich in all dem Kummer vergessen hatte, wer ich eigentlich war und was ich stets aus meinem Leben hatte machen wollen. Gedankenverloren seufzte ich auf. Auch wenn die anderen Angehörigen länger bei ihren Verstorbenen blieben, wusste ich nichts weiter mit der Situation anzufangen. Ich verabschiedete mich in Gedanken und machte mich allmählich auf den Heimweg.
Der Besuch hatte mir gut getan und mich der Realität erneut ein Stück näher gebracht. Ich war nicht lange geblieben, doch hatte mich die indirekte Anwesenheit meiner Familie darin bestätigt, endgültig etwas an meiner Lebenssituation zu ändern.
Es dauerte aufgrund der nur kleinen Entfernung nicht lange, bis ich wieder vor dem hohen Gebäude, in dem sich meine Wohnung befand, stand und meinen Schlüssel herauskramte. Ein letztes Mal atmete ich tief ein, bevor ich mich zurück in meine vier Wände begab. Kaum war ich dort angekommen, spürte ich ein beklemmendes Gefühl in mir. Die Wohnung wirkte trotz der geöffneten Fenster stickig und eng. Sie weckte fast ausschließlich negative Gefühle in mir. Es schien mir unbegreiflich, dass ich mich für so lange Zeit in diesen Räumen eingesperrt hatte. Vor mehr als einer Woche wären mir diese Gedanken niemals gekommen. Es fühlte sich tatsächlich so an, als ob ich die Chance für einen Neuanfang bekommen hatte. Ungeheure Lebenslust, verbunden mit dem Tatendrang etwas zu ändern, erfüllte mich und brachte mich schließlich auf die Idee, mich auf das neue Semester vorzubereiten. Ich wollte wieder studieren und obgleich ich einiges versäumt hatte, war ich nach wie vor eingeschrieben und konnte mir aus eben diesem Grund einen Stundenplan für das kommende halbe Jahr erstellen. Natürlich war mir gleichermaßen bewusst, dass ich für dieses Vorhaben wieder mit dem Sprechen beginnen musste. Mir selbst war unklar, warum es mir trotz des großen Wunsches einfach nicht gelang. Ich seufzte auf und beschloss, zu einem späteren Zeitpunkt genauer darüber nachzudenken. Ich schnappte mir eine Wasserflasche und ließ mich auf der berüchtigten Couch nieder, um meinen Laptop hochzufahren und mit dem Erstellen der Vorlesungskombinationen zu beginnen.
Während ich mit dem Internet verbunden wurde, stand ich noch einmal auf und suchte meine Universitätsunterlagen, die ich sorgfältig in einer Schrankschublade aufbewahrt hatte, zusammen. Ich breitete die Hefter und Formulare auf dem Tisch aus und öffnete die Hochschulinternetseite. Dort öffnete ich sofort die Tabelle mit den wichtigsten Terminen und fand in Kürze heraus, dass ich die Studiengebühren bis Ende des Monats überweisen und einen Antrag auf Rückmeldung abgeben musste. Ich war froh, dass ich mich rechtzeitig für diesen Schritt entschieden hatte, da ich die Fristen ansonsten leicht hätte verpassen können. Glücklicherweise besaß ich ein System, mit dem ich mein Geld online verwalten konnte. Somit schaffte ich es binnen weniger Minuten, den Betrag der Semestergebühren an die Universität zu überweisen. Es war ein mulmiges Gefühl, wenn ich bedachte, dass ich bald wieder Verantwortung in meinen Alltag bringen würde. Gleichzeitig ermutigte es mich und gab mir das Gefühl, dass mein Leben nach all den Geschehnissen noch einen Sinn machte.
Ich kämpfte mich weiter durch die verstrickten Internetseiten und fand mich nach etlichem Klicken endlich auf der gewünschten Seite wieder. Dort fand man aufgelistet sämtliche Studiengänge mit den Terminen der Seminare und Vorlesungen für das nächste Semester. Man konnte sich einen eigenen Stundenplan ausdrucken und diesen mit den gewünschten Veranstaltungen füllen. Für ein paar Seminare musste man sich allerdings vorab anmelden. Ich schaute nach, ob noch Plätze in den Kursen, die mich interessierten, frei waren. Ich entschied mich für
Weitere Kostenlose Bücher