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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Nationalitäten.
    Mit einem Sortiment von eineinhalb Dutzend Wörtern ausgestattet, war das große deutsche Volk in die Städte und Dörfer eingedrungen, die vom großen russischen Volk besiedelt waren, und Millionen russischer Frauen, Greise und Kinder in den Dörfern und Millionen deutscher Soldaten verständigten sich untereinander mit Wörtern wie matka, pan, ruki wjerch, kurka, jaika, »kaputt«. Nichts Gutes kam bei dieser Verständigungsweise heraus. Aber dem großen deutschen Volk genügten diese Wörter bei den Taten, die es in Russland vollbrachte.
    Doch ebenso wenig Gutes kam dabei heraus, wenn Tschernezow versuchte, mit den russischen Kriegsgefangenen ein Gespräch anzufangen, obwohl er in den zwanzig Jahren der Emigration die russische Sprache nicht vergessen hatte, sondern sie ausgezeichnet beherrschte. Er konnte die sowjetischen Kriegsgefangenen nicht verstehen, sie mieden ihn.
    Und genauso konnten sich auch die sowjetischen Kriegsgefangenen untereinander nicht einigen; die einen waren eher bereit zu sterben, als ihre Meinung zu ändern, die anderen spielten bereits mit dem Gedanken, in die Wlassow-Truppen einzutreten. Je mehr sie redeten und stritten, umso weniger verstanden sie einander. Später schwiegen sie nur noch, voller Hass und Verachtung füreinander.
    In diesem Schweigen von Stummen, in diesem Reden von Blinden, in diesem von Grauen, Hoffnung und Verzweiflung zusammengeschweißten Menschenhaufen – Menschen, die die gleiche Sprache sprachen und doch einander nur mit Unverständnis und Hass begegneten – offenbarte sich auf tragische Weise eine der großen Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts.
    6
    An dem Tag, an dem der Schnee gefallen war, waren die Gespräche der russischen Kriegsgefangenen besonders traurig.
    Selbst Hauptmann Slatokrylez und Brigadekommissar Ossipow, die stets voller Energie und seelischer Kraft waren, verfielen in düstere und schweigsame Stimmung. Schwermut lastete auf allen.
    Der Major der Artillerie, Kirillow, saß auf Mostowskois Pritsche, ließ die Schultern hängen und schüttelte trübselig den Kopf. Es schien, als seien nicht nur seine dunklen Augen, sondern sein ganzer riesiger Körper von Traurigkeit erfüllt.
    Hoffnungslos Krebskranke haben manchmal diesen Blick. Und sogar die Menschen, die ihnen am nächsten stehen, denken, wenn sie diesen Blick sehen: »Wenn du doch nur bald sterben könntest.«
    Der allgegenwärtige Kotikow mit dem gelben Gesicht flüsterte Ossipow, auf Kirillow deutend, zu: »Der hängt sich entweder auf oder rennt zu den Wlassow-Leuten.«
    Mostowskoi strich sich über seine grauen, borstigen Wangen und sagte:
    »Hört mir mal zu,Kasatschki 1 . Es ist doch ganz richtig so. Kapiert ihr denn wirklich nicht? Jeder Tag im Leben des Staates, der von Lenin geschaffen wurde, ist für den Faschismus unerträglich. Er hat keine Wahl – entweder er frisst uns, vernichtet uns, oder er geht selbst drauf. Der Hass des Faschismus auf uns stellt doch eine Prüfung der Sache Lenins dar. Noch eine mehr, und nicht die leichteste. Begreift doch, je stärker der Hass der Faschisten auf uns wird, umso überzeugter müssen wir von der Gerechtigkeit unserer Sache sein. Dann werden wir sie bezwingen.«
    Er drehte sich brüsk zu Kirillow um und sagte:
    »Na, was ist mit Ihnen los, he? Erinnern Sie sich, als Gorki über den Gefängnishof ging, da schrie ihm irgendein Georgier zu: Was läufst du da herum wie ein Huhn, geh mit dem Kopf oben!«
    Alle lachten.
    »So ist es richtig, also: Kopf hoch!«, sagte Mostowskoi. »Und denkt daran, der große Sowjetstaat verteidigt die kommunistische Idee! Soll sich doch Hitler mit ihm und mit ihr messen. Stalingrad steht, hält sich. Vor dem Krieg schien es manchmal so, als hätten wir die Schrauben zu streng, zu grausam angezogen. Doch heute sieht selbst ein Blinder – der Zweck heiligte die Mittel.«
    »Ja, die Schrauben hat man bei uns fest angezogen. Das haben Sie richtig gesagt«, bestätigte Jerschow.
    »Zu schwach hat man sie angezogen«, sagte General Guds, »man hätte sie noch fester anziehen müssen, damit Hitler gar nicht erst bis zur Wolga kommt.«
    »Es steht uns nicht an, Stalin zu belehren«, warf Ossipow ein.
    »Ja«, sagte Mostowskoi, »und wenn wir in Gefängnissen und feuchten Bergwerken umkommen müssen, dann ist uns das bestimmt. Nicht darüber müssen wir uns jetzt den Kopf zerbrechen.«
    »Worüber denn sonst?«, fragte Jerschow mit lauter Stimme.
    Die Anwesenden blickten sich an, blickten um

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