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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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im Armeestab angekommenen Melder, erstatteten die Verbindungsoffiziere den Operationsoffizieren vom Dienst Meldung.
    Zum Rapport bei Tschuikow und Krylow eilten der alte Poscharski, der die Artillerie der Armee befehligte, der Führer der Todeskommandos, die das Übersetzen über den Strom durchführten, Generalingenieur Tkatschenko, der Kommandeur der sibirischen Division, Gurtjew – Neuankömmling in der grünen Soldatenuniform – und der alteingesessene Stalingrader, Oberstleutnant Batjuk, der mit seiner Division am Fuß des Mamajew-Hügels lag. In den Politmeldungen, die dem Kriegsratsmitglied der Armee, Gurow, erstattet wurden, fielen berühmte Stalingrader Namen – der des Granatwerferschützen Besdidko, der Scharfschützen Wassili Saizew und Anatoli Tschechow, des Sergeanten Pawlow, und zugleich mit ihnen wurden Leute genannt, deren Namen zum ersten Mal in Stalingrad fielen: Schonin, Wlassow, Bryssin, denen ihr erster Tag in Stalingrad Kriegsruhm gebracht hatte. In den vordersten Reihen aber begrub man die Gefallenen, und die Toten verbrachten die erste Nacht ihres ewigen Schlafs neben den Unterständen und Deckungen, in denen ihre Kameraden Briefe schrieben, sich rasierten, Brot aßen, Tee tranken und in selbstgebauten Schwitzbädern ein Dampfbad nahmen.
    8
    Es kamen die schwersten Tage für die Verteidiger von Stalingrad.
    Im Getümmel der Schlacht um die Stadt, der Angriffe und Gegenangriffe, im Kampf um das »Haus des Spezialisten«, um die Mühle, um das Gebäude der Staatsbank, im Kampf um Keller, Höfe und Plätze zeigte sich eindeutig die Überlegenheit der deutschen Streitkräfte.
    Der Keil, den die Deutschen in den südlichen Teil der Stadt beim Lapschin-Garten, der Kuporosnaja-Schlucht und der Jelschanka getrieben hatten, verbreiterte sich, und die deutschen MG-Schützen, die vom Wasser selbst gedeckt wurden, beschossen das linke Ufer der Wolga und der südlichen Krasnaja Sloboda. Die Operationsoffiziere markierten jeden Tag die Frontlinie neu und sahen, wie die blauen Markierungszeichen unablässig weiterkrochen und der Streifen zwischen der roten Linie der sowjetischen Verteidigung und dem blauen Band der Wolga immer schmaler wurde.
    Die Initiative, die Triebkraft des Krieges, ging in diesen Tagen von der deutschen Seite aus. Immer weiter schoben sie sich vor, und aller Ingrimm der sowjetischen Gegenangriffe konnte ihren langsamen, aber unaufhaltsamen Vormarsch nicht stoppen.
    Am Himmel dröhnten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang die deutschen Sturzkampfflugzeuge und stießen mit Sprengbomben auf die schmerzerfüllte Erde herab. Und in Hunderten von Köpfen saß quälend nur ein Gedanke: Was wird morgen sein oder in einer Woche, wenn sich der sowjetische Verteidigungsgürtel in einen Faden verwandelt hat und durchgerissen ist, zermalmt von den Eisenzähnen der deutschen Offensive?
    9
    Spät in der Nacht legte sich General Krylow in seinem Unterstand aufs Feldbett. Hinter den Schläfen schmerzte es, seine Kehle brannte von schachtelweise gerauchten Zigaretten. Krylow fuhr sich mit der Zunge über den trockenen Gaumen und drehte sich zur Wand. Im Halbschlaf vermengten sich in seiner Erinnerung die Gefechte von Sewastopol und Odessa, das Kampfgeschrei der stürmenden rumänischen Infanterie mit den steingepflasterten, efeuberankten Höfen von Odessa und der Matrosenschönheit Sewastopols.
    Es kam ihm so vor, als sei er wieder im Gefechtsstand von Sewastopol, und im Nebel des Halbschlafs blitzten die Gläser des Kneifers von General Petrow auf; in dem Glas glitzerten Tausende von Splittern, und schon wogte das Meer, und der graue Staub des durch deutsche Geschosse zertrümmerten Felsgesteins schwebte über die Köpfe der Seeleute und Soldaten hinweg und stieg zum Sapun-Berg auf.
    Er konnte das eintönige Plätschern an der Bordwand des Bootes hören und die barsche Stimme des U-Boot-Matrosen: »Spring!« Er glaubte, in die Wellen gesprungen zu sein, doch da berührte sein Fuß auch schon den Rumpf des Unterseebootes … Ein letzter Blick auf Sewastopol, auf die Sterne am Himmel, auf die Brände am Ufer …
    Krylow schlief ein. Im Traum behielt der Krieg weiter seine Macht. Das U-Boot lief aus Sewastopol aus und fuhr nach Noworossijsk … Er schlug die eingeschlafenen Beine übereinander, Brust und Rücken waren schweißbedeckt, der Motorenlärm hämmerte in seinen Schläfen. Und plötzlich schwieg der Motor – das Boot sank sanft auf den Grund. Die schwüle Hitze wurde unerträglich, das

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