Leben und Schicksal
Qualitäten Neudobnow zum General befördert worden war, er dachte nach über das Leben des Stabschefs des Korps, das sich in den Blättern des Personalbogens spiegelte wie eine Birke im Teich.
Neudobnow war älter als Nowikow und Getmanow, 1916 war er wegen Mitgliedschaft in einem bolschewistischen Zirkel in ein zaristisches Gefängnis geraten.
Nach dem Bürgerkrieg hatte er, von der Partei mobilisiert, eine Zeitlang in derOGPU 30 gearbeitet, bei den Grenztruppen gedient, war zum Studium in die Akademie entsandt worden, war während des Studiums Sekretär der Parteiorganisation seines Kurses gewesen … Dann hatte er in der Militärabteilung des ZK gearbeitet, im Zentralapparat des Volkskommissariats für Verteidigung.
Vor dem Krieg war er zweimal ins Ausland gereist. Er gehörte als Funktionär zur Nomenklatura und stand auf der Sondergehaltsliste – früher hatte Nowikow nicht recht begriffen, was das bedeutete, welche Besonderheiten und Vorzüge Funktionäre der Nomenklatura besitzen.
Erstaunlich schnell hatte Neudobnow die – gewöhnlich lange – Phase zwischen dem Vorschlag zur Ernennung und der Beförderung durchlaufen. Es schien, als habe der Volkskommissar nur darauf gewartet, den Vorschlag zu erhalten und ihn zu unterschreiben. Die Angaben im Personalbogen besaßen eine seltsame Eigenschaft: Sie erklärten alle Geheimnisse des menschlichen Lebens, die Gründe für Erfolge und Nichterfolge, aber eine Minute später, unter veränderten Umständen, stellte sich heraus, dass sie nichts erklärten, sondern vielmehr das Wesentliche verschleierten.
Der Krieg hatte auf seine Weise die Dienstlisten, die Biografien, die Beurteilungen und Auszeichnungslisten überprüft … Und der Funktionär der Nomenklatura Neudobnow war nun ein Untergebener von Oberst Nowikow.
Neudobnow war klar, dass der Krieg ebenso zu Ende gehen würde wie dieser unnormale Zustand …
Er hatte sein Jagdgewehr in den Ural mitgebracht, und alle Waffennarren im Korps waren baff gewesen. Nowikow sagte dazu, wahrscheinlich sei Zar Nikolai II. seinerzeit mit diesem Gewehr auf die Jagd gegangen.
Neudobnow hatte es 1938 auf eine gewisse Anweisung hin erhalten, ebenso wie er auf Anweisung aus gewissen besonderen Lagern Möbel, Teppiche, Porzellangeschirr und ein Landhaus bekommen hatte.
Sprach man vom Krieg oder von den Angelegenheiten der Kolchosen, von dem Buch General Dragomirows oder vom chinesischen Volk, von den Verdiensten General Rokossowskis oder vom sibirischen Klima, von der Qualität des russischen Manteltuchs oder davon, ob blonde oder brünette Frauen schöner seien – er blieb mit seinem Urteil immer im Rahmen der Norm.
Es war schwer zu sagen, ob dies aus Zurückhaltung geschah oder ob es der Ausdruck seines wahren inneren Wesens war.
Manchmal, nach dem Abendessen, wurde er gesprächig und erzählte Geschichten über die Entlarvung von Schädlingen und Diversanten, die in den ungewöhnlichsten Bereichen gearbeitet hatten: in der Produktion medizinischer Instrumente, in Schuhmacherwerkstätten der Armee, in Konditoreien, in Pionierpalästen, in den Pferdeställen der Moskauer Rennbahn, in der Tretjakow-Galerie.
Er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und las offenbar viel in den Werken Lenins und Stalins. Bei Disputen sagte er gewöhnlich: »Genosse Stalin sagte schon auf dem siebzehnten Kongress …«, und zitierte den Wortlaut.
Einmal hatte Getmanow zu ihm gesagt: »Zitat und Zitat ist nicht dasselbe. Es ist viel gesagt worden. Es hat geheißen: ›Wir wollen keinen fremden Boden, aber vom eigenen geben wir keinen Zollbreit her.‹ Und wo steht jetzt der Deutsche?«
Aber Neudobnow hatte nur mit den Schultern gezuckt, als ob die Deutschen, die an der Wolga standen, überhaupt nichts bedeuteten im Vergleich zu den Worten, dass wir keinen Zollbreit eigenen Bodens hergeben würden.
Plötzlich verschwand alles um Nowikow – die Panzer, die Gefechtsvorschriften, die Schießübungen, der Wald, Getmanow, Neudobnow … Genia! Wird er sie wirklich wiedersehen?
53
Nowikow fand es seltsam, dass Getmanow, nachdem er einen Brief von zu Hause gelesen hatte, sagte: »Meine Frau bedauert uns; ich habe ihr geschrieben, unter welchen Umständen wir hier leben.«
Dieses Leben, das dem Kommissar so schwer erschien, verwirrte Nowikow durch seinen Luxus.
Zum ersten Mal hatte er sich selbst ein Haus zum Wohnen ausgesucht. Einmal, als er gerade zur Brigade gehen wollte, hatte er gesagt, dass ihm das Sofa der Hausleute nicht gefalle; als
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