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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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er heimgekommen war, hatte anstelle des Sofas ein Sessel mit Holzlehne im Zimmer gestanden, und sein Adjutant Werschkow hatte sich besorgt erkundigt, ob dieser Sessel nun auch dem Geschmack des Korpskommandeurs entspreche.
    Der Koch fragte: »Wie soll der Borschtsch sein, Genosse Oberst?«
    Seit seiner Kindheit hatte er Tiere geliebt. Jetzt hauste unter seinem Bett ein Igel, pochte gebieterisch mit den Pfötchen und lief nachts im Zimmer umher; im Käfig mit dem Panzeremblem, den Mechaniker des Reparaturdienstes gebaut hatten, saß ein junges Erdhörnchen und knabberte Nüsse. Das Erdhörnchen hatte sich rasch an Nowikow gewöhnt; manchmal hockte es sich auf sein Knie und blickte ihn mit kindlich vertrauensvollen, wissbegierigen Augen an. Alle – der Adjutant Werschkow, der Koch Orlenjew und der Fahrer des Jeeps Charitonow – waren nett und aufmerksam zu dem Tierchen.
    Dies alles war für Nowikow keineswegs unwichtig und nebensächlich. Als er vor dem Krieg ein junges Hündchen ins Haus der Kommandeure mitgebracht und dieses einen Schuh der Obristin, die in der Nachbarschaft wohnte, angenagt und innerhalb einer halben Stunde drei Pfützen gemacht hatte, war in der Gemeinschaftsküche derartig der Teufel los gewesen, dass sich Nowikow gleich wieder von dem Hund hatte trennen müssen.
    Es kam der Tag des Abmarschs, und immer noch gab es einen ungeschlichteten Streit zwischen dem Kommandeur des Panzerkorps und seinem Stabschef.
    Es kam der Tag des Abmarschs und mit ihm das Kopfzerbrechen über die Versorgung mit Treibstoff und Marschproviant, über die richtige Reihenfolge beim Beladen des Militärzugs.
    Allmählich machte er sich auch Gedanken darüber, wer seine künftigen Nachbarn sein könnten, wessen Schützen- und Artillerieregimenter heute aus der Reserve ausrücken und auf dem Marsch zur Eisenbahnlinie sein würden; er wurde ganz unruhig bei dem Gedanken, wer der Mann sein werde, vor dem er auf das Kommando »Stillgestanden« strammstehen und sagen würde: »Melde gehorsamst, Genosse Generaloberst…«
    Es kam der Tag des Abmarschs, und es war ihm nicht gelungen, seinen Bruder und seine Nichte zu besuchen. Er war im Ural gewesen, hatte gedacht, der Bruder wohne ganz in der Nähe – und hatte keine Zeit für einen Besuch bei ihm gefunden.
    Schon wurden dem Korpskommandeur Meldungen über den Abmarsch der Brigaden erstattet, über die Bereitstellung offener Waggons für das schwere Material und darüber, dass man seinen Igel und sein Erdhörnchen in den Wald gebracht und dort freigelassen hatte.
    Als Oberhaupt des Korps hatte er es schwer; für jede Lappalie verantwortlich, musste er jede Kleinigkeit überprüfen. Da waren nun schon die Panzer auf die Waggons verladen worden. Doch hatte man auch nicht vergessen, die Bremsen in den Kampffahrzeugen anzuziehen, hatte man den ersten Gang eingelegt, die Drehtürme mit dem Geschützrohr nach vorne festgezurrt, waren die Lukendeckel auch dicht verschlossen? Hatte man Holzleisten bereitgestellt, um die Panzer zu befestigen und ein Schlingern der Waggons zu verhindern?
    »Wie wär’s, spielen wir noch eine kleine Partie Préférence zum Abschied?«, fragte Getmanow.
    »Ich sage nicht nein«, erklärte Neudobnow.
    Doch Nowikow wollte lieber ins Freie gehen und allein sein.
    In dieser frühen Abendstunde nahm die Luft eine erstaunliche Klarheit an, und die unscheinbarsten Dinge bekamen ein deutliches und plastisches Aussehen. Rauch stieg aus den Schornsteinen auf; ohne sich zu kräuseln, verflüchtigte er sich in kerzengeraden, senkrechten Säulen nach oben. In den Feldküchen prasselten die Holzscheite. Mitten auf der Straße stand ein Panzerschütze mit dunklen Augenbrauen, ein Mädchen umarmte den jungen Soldaten, legte den Kopf an seine Brust und weinte. Aus den Stabsunterkünften wurden Kisten, Koffer und Schreibmaschinen in schwarzen Schutzgehäusen herausgetragen. Soldaten der Nachrichtentruppe montierten die Leitungen ab, die zu den Brigadestäben verlegt worden waren; schwarze, schmierige Kabel wurden auf Spulen aufgewickelt. Hinter den Schuppen schnaubte ein Stabspanzer, gab ein paar Schüsse ab und qualmte; er wurde marschbereit gemacht. Die Fahrer der neuen Ford-Lkws schütteten Benzin in die Tanks und zogen die Kälteschutzplanen von den Kühlerhauben herunter. Im ganzen Umkreis aber war alles still und starr.
    Nowikow stand unter dem Vordach, sah sich nach allen Seiten um, und langsam fiel alle Angst, fielen alle nichtigen Sorgen von ihm ab.
    Gegen Abend

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