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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Menschen gegenüber verholfen hatte, und nicht Stalingrad, antwortete herablassend: »Ja, Verehrtester, im Großen und Ganzen muss man es bedauern, dass wir uns vor dem Krieg nicht begegnet sind.«
    Im Keller aber hausten die Infanteristen; sie waren es, die den deutschen Vorstoß abgeschlagen hatten und auf Grekows durchdringenden Befehlsschrei hin zum Gegenstoß übergegangen waren.
    Die Infanterie war Leutnant Subarew unterstellt. Vor dem Krieg hatte er am Konservatorium Gesang studiert. Manchmal schlich er sich nachts zu den deutschen Häusern und fing an zu singen: »Oh, weck mich nicht, du Frühlingshauch«, oder die Arie Lenskis aus »Eugen Onegin«.
    Subarew gab keine Antwort, wenn man ihn fragte, weshalb er sich denn in die Ziegelhaufen einschlich und dort sang, mit dem Risiko, getötet zu werden. Vielleicht wollte er hier, wo Tag und Nacht Leichengestank die Luft verpestete, nicht nur sich und seinen Kameraden, sondern auch den Feinden beweisen, dass die Kräfte der Zerstörung, so gewaltig sie auch sein mochten, nie das Schöne des Lebens bezwingen konnten.
    Konnte man denn überhaupt leben, ohne etwas von Grekow, Kolomeizew, Poljakow, Klimow, Batrakow und dem bärtigen Subarew zu wissen?
    Serjoscha, der sein ganzes Leben im Milieu der gebildeten Oberschicht verbracht hatte, erkannte jetzt, dass seine Großmutter, die ständig behauptete, die einfachen Arbeiter seien gute Menschen, durchaus recht gehabt hatte.
    Einem Irrtum der Großmutter war der kluge Serjoscha dennoch auf die Spur gekommen – sie hielt die einfachen Leute trotzdem für einfach.
    Die Menschen im Haus »sechs Strich eins« waren nicht einfach. Grekow hatte Serjoscha einmal mit dem Ausspruch verblüfft: »Man darf den Menschen nicht antreiben wie ein Schaf; so klug Lenin auch war, aber das hat er nicht begriffen. Eine Revolution macht man, damit kein Mensch mehr von einem anderen angetrieben wird. Lenin aber hat gesagt: ›Früher hat man euch dumm regiert, ich aber werde euch klug regieren!‹«
    Nie hatte Serjoscha jemanden so offen über dieNarkomwnudelzen 37 urteilen hören, die 1937 Zehntausende unschuldiger Menschen ins Verderben gestürzt hatten.
    Niemals hatte Serjoscha jemanden mit solchem Schmerz über die Not und das Leid sprechen hören, die über die Bauernschaft während der Zwangskollektivierung hereingebrochen waren. Es war vor allem Grekow, der sich über diese Themen ausließ, doch oft führten auch Kolomeizew und Batrakow solche Gespräche.
    Jetzt im Stabsunterstand erschien Serjoscha jede Minute, die er außerhalb des Hauses »sechs Strich eins« verbringen musste, qualvoll lange. Die Unterhaltungen über den Dienst und über Aufrufe zu den Abteilungschefs kamen ihm sinnlos vor. Er stellte sich vor, was wohl Poljakow, Kolomeizew oder Grekow jetzt taten.
    In der ruhigen Stunde am Abend würden wieder alle über die Funkerin reden. Wenn Grekow sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er durch nichts mehr aufzuhalten, selbst dann nicht, wenn ihn Buddha oder Tschuikow persönlich daran zu hindern suchten.
    Die Bewohner des Hauses waren außergewöhnliche, starke, zu allem entschlossene Menschen. Wahrscheinlich würde Subarew auch heute wieder eine Arie anstimmen … Und sie saß dort hilflos und erwartete ihr Schicksal.
    »Ich bring ihn um!«, dachte er, wusste jedoch nicht genau, wen er eigentlich umbringen wollte.
    Was bildete er sich denn ein? Er hatte noch kein einziges Mal ein Mädchen geküsst; diese erfahrenen Teufel aber würden sie natürlich täuschen, ihr den Kopf verdrehen.
    Er hatte schon viele Geschichten über Krankenschwestern, Telefonistinnen, Entfernungsmesserinnen und Abhörerinnen gehört, über Schulmädchen, die gegen ihren Willen zur »Pepesche«, zur Feldfrau, von Regimentskommandeuren und Divisionschefs der Artillerie geworden waren. Diese Geschichten hatten ihn bisher nicht berührt.
    Er sah zur Tür des Unterstands. Wieso war es ihm denn nicht schon eher in den Sinn gekommen, dass er aufstehen und ohne einen Menschen zu fragen einfach gehen könnte?
    Er stand auf, öffnete die Tür und ging.
    In diesem Augenblick erhielt der Operationsoffizier vom Dienst im Armeestab einen Anruf aus der Politabteilung; man bat darum, umgehend einen Soldaten aus dem eingeschlossenen Haus zum Kommissar zu schicken.
    Die Geschichte von Daphnis und Chloe rührt die Herzen der Menschen immer wieder aufs Neue, aber nicht, weil ihre Liebe unter blauem Himmel und zwischen Weinreben entstand.
    Die Geschichte von Daphnis

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