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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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häuslichen Kleinkram, mischte sich in Küchenbelange ein und wunderte sich, wie es Ljudmila Nikolajewna schaffte, so viel Geld auszugeben.
    Neuerdings fand er sogar ein Ohr für Ljudmilas Streitereien mit den Wohnungsbesitzern, die eine Zusatzmiete für den Holzschuppen verlangten.
    »Na, was machen die Verhandlungen mit Nina Matwejewna?«, fragte er, und nachdem ihm Ljudmila Bericht erstattet hatte, sagte er: »Was für ein niederträchtiges Weib, Teufel noch mal.«
    Er dachte nicht mehr an den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und menschlichem Dasein, fragte sich nicht, ob sie ihm zum Glück oder Unglück gereichte. Um solche Gedanken zu haben, musste man sich als Beherrscher und Sieger fühlen. Er aber empfand sich in diesen Tagen als Versager.
    Es schien ihm, als würde er niemals mehr wie früher arbeiten können, als habe ihn das erlebte Leid der Forscherkraft beraubt.
    In Gedanken ließ er die Namen von Physikern, Mathematikern, Schriftstellern Revue passieren, die bereits in jungen Jahren ihre größten Leistungen vollbracht hatten, ab fünfunddreißig, vierzig aber nicht mehr Wesentliches zu leisten vermochten. Sie hatten etwas zustande gebracht, worauf sie stolz sein konnten, doch er musste sein Leben zu Ende leben, ohne auf etwas in der Jugend Geleistetes zurückblicken zu können. Galois, der viele Erkenntnisse der Mathematik auf Jahrhunderte vorausbestimmt hatte, war im Alter von einundzwanzig Jahren bei einem Duell gefallen. Einstein hatte mit sechsundzwanzig seine Arbeit über die Elektrodynamik beweglicher Körper veröffentlicht, Hertz war noch nicht vierzig, als er starb. Was für eine Kluft lag zwischen dem Schicksal dieser Männer und ihm, Strum!
    Strum sagte zu Sokolow, dass er für eine Weile die Laborarbeit einstellen wollte. Sokolow war jedoch der Ansicht, man müsse fortfahren, er erwartete sich viel von der neuen Apparatur. Dagegen hatte Strum sogar vergessen, ihm sofort vom Brief aus dem Werk zu berichten.
    Viktor Pawlowitsch sah, dass seine Frau von seinen Misserfolgen wusste, sie brachte aber niemals die Rede darauf.
    Sie hatte kein Interesse für das Allerwichtigste in seinem Leben, aber für den Haushalt, für eine Plauderei mit Marja Iwanowna, für das Gezänk mit der Vermieterin, für das Nähen eines Kleides für Nadja, für Zusammenkünfte mit Postojews Frau – dafür fand sie Zeit genug. Er war verbittert über Ljudmila Nikolajewna, erkannte ihren Zustand nicht.
    Er glaubte, seine Frau habe ins gewohnte Leben zurückgefunden, sie aber verrichtete alle gewohnten Dinge eben aus dem Grund, weil sie gewohnt waren und ihr nicht seelische Kräfte abverlangten, die sie nicht mehr besaß.
    Sie kochte Nudelsuppe und sprach über Nadjas Schuhe, weil sie sich viele Jahre lang um den Haushalt gekümmert hatte und jetzt mechanisch die gewohnten Griffe wiederholte. Was er jedoch nicht sah, war, dass sie, die ihr altes Leben fortführte, nicht im Geringsten daran teilnahm. Ein Wanderer geht in Gedanken versunken den vertrauten Weg, weicht Gruben aus und springt über Gräben, ohne sie überhaupt zu bemerken.
    Um mit ihrem Mann über seine Arbeit sprechen zu können, hätte Ljudmila einen neuen seelischen Anstoß gebraucht, eine neue Kraft. Sie hatte keine Kraft. Strum aber schien es, als habe Ljudmila für alles ihr Interesse bewahrt, nur nicht für seine Arbeit. Es kränkte ihn, dass sie sich immer, wenn sie über den Sohn sprach, an Fälle erinnerte, in denen er nicht nett zu Tolja gewesen war. Sie zog gleichsam ein Resümee der Beziehung zwischen Tolja und seinem Stiefvater, und das Resümee fiel nicht zugunsten Viktor Pawlowitschs aus.
    Ljudmila sagte zur Mutter: »Wie unglücklich er war, der Arme, als er eine Zeitlang Pickel im Gesicht hatte. Er bat mich sogar, bei der Kosmetikerin eine Creme zu holen. Und Viktor hat ihn dauernd gehänselt.«
    So war es tatsächlich gewesen.
    Strum hatte seinen Stiefsohn gern aufgezogen; wenn Tolja nach Hause kam und Viktor Pawlowitsch begrüßte, war es dessen Gewohnheit, den Jungen aufmerksam zu mustern und nachdenklich zu äußern: »Da zieht wieder eine ganze Milchstraße über dein Gesicht, mein Lieber.«
    In letzter Zeit mochte Strum abends nicht zu Hause bleiben. Manchmal schaute er bei Postojew vorbei, und sie spielten Schach und hörten Musik: Postojews Frau war eine recht gute Pianistin. Manchmal besuchte er seinen neuen Kasaner Bekannten, Karimow. Doch am häufigsten war er bei den Sokolows.
    Ihm gefiel ihr kleines Zimmer, er mochte das liebe

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