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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Wasser, Gluschkow sah ihn an, und es verließ ihn vollends der Mut. Er half Berjoskin, sich abzutrocknen und wieder hinzulegen, er deckte ihn mit Decke und Mantel zu und packte alles Wärmende, was er finden konnte Zeltplanen, wattierte Jacken und Hosen –, obendrauf.
    Als Piwowarow zurückkam, war das Quartier bereits wieder aufgeräumt; nur der säuerliche Badegeruch hing noch im Raum Berjoskin schlief ruhig. Piwowarow beugte sich über ihn.
    »Was für ein prächtiges Gesicht er hat«, dachte er. »Der hat sicher keine Erklärungen geschrieben.«
    Den ganzen Tag schon quälte ihn der Gedanke daran, dass er vor fünf Jahren seinen Kollegen im Zweijahreskursus, Schmeljow, entlarvt hatte; während der bösen, quälenden, unheilvollen Stille, die heute an der Front geherrscht hatte, war ihm alles Mögliche in Erinnerung gekommen, auch Schmeljow, wie er ihn mit niedergeschlagenem, mitleiderregendem Gesicht von der Seite her angeblickt hatte, als auf der Versammlung die Erklärung seines guten Freundes Piwowarow verlesen wurde.
    Gegen Mitternacht rief Tschuikow, ohne zuerst mit dem Divisionskommandeur zu sprechen, beim Regiment an, das im Abschnitt des Traktorenwerks lag; er machte sich große Sorgen. Die Aufklärer hatten berichtet, dass in dieser Zone besonders viele deutsche Panzer und Infanterie zusammengezogen würden.
    »Na, wie steht’s bei euch?«, bellte er. »Wer befehligt denn eigentlich euer Regiment? Batjuk hat mir berichtet, der Regimentskommandeur habe so was wie eine Lungenentzündung und er wolle ihn ans linke Ufer bringen lassen.«
    Eine heisere Stimme antwortete:
    »Ich befehlige das Regiment – Oberstleutnant Berjoskin. Es war nur eine kleine Erkältung, bin schon wieder in Ordnung.«
    »Das höre ich«, spottete Tschuikow. »Du bist ja ganz heiser. Trink heiße Milch; das bringt dich wieder auf Trab, und denk dran – die Deutschen greifen an.«
    »Alles klar, Genosse Chef«, sagte Berjoskin.
    »Soso, klar«, knurrte Tschuikow, »dann schreib’s dir hinter die Ohren: Wenn ihr auf die Idee kommt, zurückzuweichen, dann verpass ich dir geschlagenes Ei mit Zucker, das dir nicht schlechter schmecken wird als deutsche Milch.«
    23
    Poljakow verabredete sich mit Klimow, nachts zum Regiment zu gehen. Der Alte wollte sich nach dem Verbleib von Schaposchnikow erkundigen.
    Grekow war einverstanden, freute sich sogar und ermutigte ihn: »Geh nur, Väterchen, geh – vielleicht kannst du dich ein bisschen ausruhen dahinten und uns dann erzählen, was die da so treiben.«
    »Soll ich mich auch nach Katka erkundigen?«, fragte Poljakow, der begriffen hatte, warum Grekow seine Bitte guthieß.
    »Die sind ja gar nicht mehr beim Regiment«, sagte Klimow. »Ich habe gehört, der Regimentskommandeur hätte sie beide auf die andere Seite der Wolga abkommandiert. Wahrscheinlich haben sie sich längst in Achtuba auf dem Standesamt trauen lassen.«
    Poljakow konnte sich nicht verkneifen, Grekow zu fragen: »Soll ich dann vielleicht doch hierbleiben oder einen Brief von Ihnen mitnehmen?«
    Grekow warf ihm einen raschen Blick zu und sagte dann ruhig: »Du gehst, und damit basta.«
    »Klar«, dachte Poljakow. Um fünf Uhr früh krochen sie durch den Stollen. Poljakow stieß ständig mit dem Kopf gegen irgendwelche Stützen und fluchte herzhaft auf Serjoscha Schaposchnikow; es ärgerte und verwirrte ihn, dass ihm der Junge so am Herzen lag.
    Als der Stollen breiter wurde, setzten sie sich hin und rasteten eine kurze Weile. Klimow sagte lachend: »Hast du denn gar nichts für ihn mitgenommen, kein Geschenk?«
    »Ach, der Teufel soll ihn holen, den Kerl«, sagte Poljakow »Einen Ziegelstein sollte man mitnehmen und ihm eins damit verpassen.«
    »Alles klar«, erwiderte Klimow, »du gehst doch nur seinetwegen, du würdest ja wegen ihm durch die Wolga schwimmen. Oder gehst du etwa wegen Katka, weil du verrückt wirst vor Eifersucht?«
    »Gehen wir«, sagte Poljakow.
    Bald krochen sie an die Oberfläche und machten sich auf den Weg durch das Niemandsland. Alles war still.
    »Und wenn der Krieg jetzt aus wäre?«, dachte Poljakow und stellte sich lebhaft seine Stube zu Hause vor: ein Teller Borschtsch auf dem Tisch; die Frau schuppt den von ihm gefangenen Fisch – ganz heiß wurde ihm dabei.
    In dieser Nacht gab General Paulus den Befehl zum Angriff auf das Stalingrader Traktorenwerk.
    Zwei Infanteriedivisionen sollten das von der Luftwaffe, der Artillerie und den Panzern gesprengte Tor stürmen. Seit Mitternacht sah man

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