Leben und Schicksal
Zigaretten, von Soldatenhänden abgeschirmt, rot aufglühen.
Über den Werkshallen heulten schon eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang die Junkers-Motoren auf. Die Bomben fielen ohne Unterbrechung. Wenn das allgemeine Dröhnen für einen Augenblick aussetzte, dann war die Stille sofort erfüllt vom Pfeifen einer Bombe, die der Erde zustrebte. Das ununterbrochene, mehrstimmige Brummen drohte sich wie ein Stück Eisen in den Schädel der Männer zu bohren und die Wirbelsäule zu durchschlagen.
Es wurde hell, nur über dem Werksgelände blieb es Nacht.
Es war, als schleudere die Erde selbst Blitze, Donner, Rauch und schwarzen Staub aus sich heraus.
Die Hauptstoßkraft des Angriffs richtete sich gegen das Regiment Berjoskins und das Haus »sechs Strich eins«.
Auf der ganzen Frontlänge des Regiments fuhren die vom Lärm betäubten Männer erschreckt aus dem Schlaf hoch. Die Deutschen leiteten einen Angriff ein, der heftiger war als alle, die man bis jetzt erlebt hatte!
Klimow und der Alte, die von dem Bombenangriff überrascht wurden, stürzten zurück zum Niemandsland, wo von dem massiven Luftangriff Ende September zahlreiche Bombentrichter im Boden klafften. Dorthin flüchteten auch alle Soldaten des Podtschufarow’schen Bataillons, soweit sie sich rechtzeitig aus ihren einstürzenden Stellungen hatten retten können.
Die Entfernung zwischen den deutschen und russischen Stellungen war so gering, dass ein Teil der Bomben die Soldaten der deutschen Spitzendivision traf, die eigens für diesen Angriff nach vorn geworfen worden war.
Poljakow schien es, als brause ein Sturm aus Astrachan die aufgewühlte Wolga herauf. Ein paarmal wurde er zu Boden geschleudert, sodass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Doch Klimow zog ihn immer wieder hinter sich her, bis sie endlich einen tiefen Trichter erreicht hatten, in den sie sich erleichtert bis auf den feuchten, matschigen Grund rollen ließen. Hier herrschte eine dreifache Finsternis, aus Nacht, aus Rauch und Staub und aus Kellerschwärze.
Sie lagen nebeneinander; den alten wie den jungen Kopf erfüllte die gleiche Hoffnung, die Hoffnung, zu überleben, wie sie in allen Herzen, nicht nur in den menschlichen, sondern auch in denen der Tiere und Vögel, immer lebendig ist.
Poljakow fluchte leise vor sich hin, schimpfte auf Serjoscha Schaposchnikow, dem er seine missliche Lage zu verdanken glaubte. »Alles wegen diesem Serjoscha«, knurrte er wütend; aber im tiefsten Herzensgrund betete er wohl.
Mit dieser geballten Intensität konnte der Beschuss ja nicht lange dauern. Doch die Zeit verging, und das wütende Dröhnen ließ nicht nach, die rauchschwarze Finsternis wich nicht, sondern wurde dichter und verschmolz Himmel und Erde immer mehr miteinander.
Klimow tastete nach der rauen Arbeiterhand des alten Landwehrmannes und drückte sie, und er spürte dann den Gegendruck, der ihm Trost gab in dem offenen Grab. Ein Einschlag in der Nähe schleuderte Erd- und Steinbrocken in den Trichter, einige von ihnen trafen den Alten im Rücken. Es wurde ihnen übel, als sie sahen, wie ganze Erdschichten die Seitenwände herunterrutschten. Da lagen sie nun in dieser Grube, die ihre Zuflucht sein sollte, und mussten untätig zusehen, wie der Deutsche die Grube von oben zuschüttete und dem Erdboden gleichmachte.
Im Allgemeinen ging Klimow lieber allein, ohne zweiten Mann, auf seine Erkundungsgänge. Er hatte es immer eilig, hinaus in die Finsternis zu kommen – wie ein erfahrener Schwimmer sich beeilte, vom felsigen Ufer weg aufs offene Meer zu gelangen; doch hier in dieser Grube freute er sich, dass Poljakow bei ihm war.
Die Zeit hatte ihr Gleichmaß verloren, bald stürmte sie vorwärts wie eine Detonationswelle, bald erstarrte sie, in sich verkrümmt wie ein Widderhorn.
Als die beiden Männer in dem Loch wieder aufzusehen wagten, blickten sie in trübes Halbdunkel. Der Wind hatte endlich Rauch und Staub weggetragen … Die unaufhörlich bebende Erde ruhte, der Höllenlärm hatte sich in einzelne Detonationen aufgelöst, Eine schreckliche Erschöpfung lähmte die Seele, sie schien völlig abgestumpft. Nur der Schmerz war noch da.
Klimow erhob sich. Neben ihm lag ein staubbedeckter, von Krieg und Entbehrung gezeichneter, völlig ausgemergelter Deutscher. Klimow hatte sonst keine Angst vor den Deutschen: Er war überzeugt, dass er stets eine Sekunde früher als der Gegner abdrücken oder die Granate werfen oder mit dem Kolben oder Messer zustoßen würde.
Doch jetzt war
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