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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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gebracht hatte, und sie bestand auch zwischen ihr und jener, die im Juni bei Woronesch dem Obersten Heu auf den Boden gestreut und sich beim Anblick des roten Feuerscheins bekreuzigt hatte. Doch diese Beziehung war so natürlich, dass sie weder der Alten auffiel, die ins Haus ging, um den Ofen mit Schilf zu heizen, noch dem Obersten, der vor die Tür trat.
    Eine wundervolle, sehnsüchtige Stille lag über der Kalmückensteppe. Ob die Menschen, die an diesem Morgen Unter den Linden auf und ab gingen, wohl wussten, dass Russland jetzt sein Gesicht gen Westen gewandt hatte, dass es zum Schlag ausholte, zum Sprung ansetzte?
    Nowikow rief von der Tür aus dem Fahrer Charitonow zu: »Nimm die Mäntel mit, den vom Kommissar und meinen, wir kommen spät zurück.«
    Getmanow und Neudobnow traten vor die Tür.
    »Michail Petrowitsch«, sagte Nowikow, »falls etwas ist, rufen Sie bei Karpow an, und nach fünfzehn Uhr bei Below und Makarow.«
    Neudobnow sagte: »Was soll schon sein?«
    »Wer weiß, vielleicht ein Überraschungsbesuch des Befehlshabers.«
    Aus der Sonne lösten sich zwei schwarze Punkte, zwei Flugzeuge, und kamen auf den Hof zu. Unter dem immer lauter werdenden Dröhnen ihres Anflugs zersprang die unbewegliche Stille der Steppe in tausend Stücke.
    Charitonow sprang aus dem Wagen und lief unter das Scheunendach.
    »He, du Esel, hast vor den eigenen Leuten Angst?«, schrie Getmanow.
    In diesem Augenblick kam aus dem einen Flugzeug eine Maschinengewehrsalve, und das andere ließ eine Bombe fallen Ein Pfeifen und Heulen war in der Luft; die Frau schrie gellend auf, das Kind fing an zu weinen; Erdklumpen wurden hochgeschleudert und fielen wieder herab.
    Nowikow war beim Geheul der fallenden Bombe in die Knie gegangen. Einen Moment lang war alles Rauch und Staub, und er erkannte nur den neben ihm stehenden Getmanow. Dann löste sich aus dem Staubschleier die wie aus Holz geschnitzte Gestalt Neudobnows. Er stand aufrecht da, die Schultern gerade, den Kopf hoch erhoben. Er war der Einzige von ihnen gewesen, der sich nicht geduckt hatte.
    Getmanow klopfte sich den Staub von den Hosen und sagte, etwas blass, aber angenehm erregt, mit gutgemeinter Überheblichkeit: »Nix passiert, tapfer, tapfer, die Hosen sind trocken geblieben, und unser General hat nicht mal gezuckt.«
    Dann inspizierten Getmanow und Neudobnow den Umkreis des Trichters, wunderten sich, dass die Fenster in den weiter weg liegenden Häusern zersprungen, in den nahegelegenen dagegen ganz geblieben waren, und betrachteten den umgestürzten Flechtzaun.
    Nowikow war neugierig auf die Reaktion der Männer, die zum ersten Mal bombardiert worden waren. Offenbar verblüffte es sie maßlos, dass man die Bombe erst hergestellt, dann mühsam in die Luft transportiert und dann wieder auf die Erde geworfen hatte, mit dem einzigen Ziel, den Vater der kleinen Getmanows und den Vater der kleinen Neudobnows zu töten. Das also taten die Leute im Krieg!
    Im Auto sprach Getmanow noch immer von dem Luftangriff, dann unterbrach er sich und sagte: »Du findest es sicher etwas lächerlich, wenn ich so rede, Pjotr Pawlowitsch. Auf dich hat man ja schon Tausende geworfen, aber bei mir war’s das erste Mal.« Er wechselte erneut das Thema und fragte: »Dieser Krymow, war der eigentlich in Gefangenschaft oder so was?«
    »Krymow? Was geht denn der dich an?«
    »Ich hab da was Interessantes über ihn im Frontstab gehört.«
    »Er war mal in einem Kessel, aber soviel ich weiß, nicht in Gefangenschaft. Was hast du denn gehört?«
    Getmanow hörte schon nicht mehr zu, sondern berührte Charitonow an der Schulter und sagte: »Da in diesen Weg einbiegen zum Stab der ersten Brigade. An der kleinen Schlucht vorbei. Siehst du, ich habe den richtigen Frontblick.«
    Nowikow hatte sich daran gewöhnt, dass Getmanow ständig das Thema wechselte. Er fing an zu erzählen, dann stellte er plötzlich eine Frage, fing wieder an zu erzählen, stellte wieder eine Frage. Offenbar bewegten sich seine Gedanken ständig im Zickzack, aber das schien nur so.
    Getmanow erzählte oft von seiner Frau und seinen Kindern, Er trug einen dicken Packen Familienfotos mit sich herum und hatte schon zweimal einen Beauftragten mit Päckchen nach Ufa geschickt.
    Hier jedoch hatte er eine Affäre mit einer schwarzhaarigen, unangenehmen Ärztin namens Tamara Pawlowna aus der Sanitätseinheit, eine durchaus ernsthafte Affäre. Werschkow hatte Nowikow eines Morgens mit tragischer Stimme erzählt: »Genosse Oberst, die

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