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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Feldlagern funktionierte.
    Besonders einfach und gut redete er mit älteren Fabrik- und Kolchosarbeitern. Es gefiel diesen Leuten, dass er als Sekretär ein Diener des Volkes war, dass er mit den Leuten von der Versorgung und von den Lebensmittellagern, mit den Leitern der Wohnheime und, wenn nötig, auch mit den Werksdirektoren und den Leitern derMTS 9 eine deutliche Sprache sprach, wenn sie die Interessen des arbeitenden Mannes vernachlässigten. Er war ein Bauernsohn, hatte selbst einst als Schlosser in der Fabrik gearbeitet, und die Arbeiter spürten das. Doch in seinem Gebietskomitee-Büro beschäftigte ihn allein die Sorge um seine Verantwortung vor dem Staat; was in Moskau Besorgnis erregte, das machte auch ihm zu schaffen, und das wussten die Direktoren der großen Fabriken und die Sekretäre der ländlichen Rayonkomitees.
    »Du bringst den Plan zum Platzen, weißt du das? Willst du dein Parteibuch loswerden? Weißt du überhaupt, was die Partei dir anvertraut hat, oder muss ich dir’s noch mal erklären?«
    In seinem Büro wurde weder gelacht noch gescherzt. Da sprach man nicht vom Teewasser in den Wohnheimen und von der Begrünung der Industrieobjekte. In seinem Büro wurden strenge Produktionspläne besprochen und erstellt, da war die Rede von der Erhöhung der Herstellungsnormen, davon, dass der Wohnungsbau zurückgestellt, dass der Gürtel enger geschnallt werden müsse, dass die Selbstkosten gesenkt und die Einzelhandelspreise erhöht werden müssten.
    Welche Macht dieser Mann hatte, wurde besonders deutlich, wenn er eine Sitzung des Gebietskomitees leitete. Da hatte man den Eindruck, die Leute seien nicht mit ihren eigenen Gedanken und Ansprüchen zu Getmanow gekommen, sondern einzig und allein zu dem Zweck, ihm zu helfen, seine Ansicht durchzusetzen, als sei der gesamte Verlauf der Sitzung schon im Vorhinein vom Elan, Verstand und Willen Getmanows bestimmt.
    Er sprach leise, ohne Hast, er wusste, dass man ihm zuhörte.
    »Sag mal, in deinem Rayon … lassen wir doch den Agronomen mal zu Wort kommen, Genossen … Gut, wenn du, Pjotr Michailowitsch, noch was hinzuzufügen hast … Lasko soll sich dazu äußern … bei ihm geht nicht alles nach Wunsch auf dieser Linie … Du, Rodionow, möchtest, wie ich sehe, auch etwas sagen; meiner Ansicht nach ist die Sache klar, Genossen, wir müssen zusammenfassen … ich nehme an, es gibt keine Einwände … Hier, Genossen, liegt ein Resolutionsentwurf … Lies mal vor, Rodionow.« Und Rodionow, der Zweifel anmelden und sogar sein Einverständnis verweigern wollte, liest brav die Resolution vor, den Blick immer wieder dem Vorsitzenden zuwendend – ob er wohl deutlich genug vortrage. »Na, seht ihr, die Genossen haben nichts dagegen.«
    Doch das Erstaunlichste war, dass Getmanow dabei anscheinend ehrlich war, dass er sich selbst treu blieb, wenn er von den Sekretären des Rayonkomitees den Plan verlangte und die Kolchosarbeitstage bis zum Äußersten ausfüllte, wenn er den Arbeitern den Lohn senkte, eine Verringerung der Selbstkosten verlangte, wenn er die Einzelhandelspreise erhöhte, aber auch wenn er mit den Frauen im Dorfsowjet ihr schweres Los beklagte und sich über die Enge in den Arbeiterwohnheimen grämte.
    Zu verstehen war das kaum, aber was ist im Leben schon leicht zu verstehen?
    Als Nowikow und Getmanow beim Auto waren, sagte Getmanow scherzend zu dem sie begleitenden Karpow: »Da müssen wir wohl bei Below essen, von Ihnen und von Ihrem Intendanten ist ja nichts zu erhoffen.«
    Karpow erwiderte ernst: »Genosse Brigadekommissar, unser Intendant hat bis jetzt nichts aus den Frontlagern bekommen; außerdem ist er magenkrank, isst also selbst nichts.«
    »Krank ist er, o weh, das ist aber schlimm«, sagte Getmanow und gähnte: »Also los, Abfahrt.«
    Die Brigade Belows lag erheblich weiter westlich als die Karpows.
    Below, ein magerer, langnasiger Mann auf krummen Kavalleristenbeinen, ausgestattet mit einem scharfen, schnellen Verstand und einer ratternden, kaum aufzuhaltenden Redeweise gefiel Nowikow im Grunde. Er hielt ihn für einen Menschen, der für Panzerdurchbrüche und Gewaltvormärsche wie geschaffen war. Sein Personalbogen war gut, obwohl er noch nicht lange im Einsatz war – er hatte im Dezember bei Moskau einen Panzerangriff auf die deutsche Etappe durchgeführt.
    Doch jetzt, in seiner Aufregung, sah Nowikow nur die Mängel des Brigadekommandeurs – er trank wie ein Pferd, war leichtsinnig, neigte zu Weibergeschichten, war vergesslich

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