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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Ärztin hat die Nacht beim Kommissar verbracht; erst bei Morgengrauen hat er sie rausgelassen.«
    Nowikow wies ihn zurecht: »Das geht Sie nichts an, Werschkow. Sehen Sie lieber zu, dass Sie mir nicht dauernd meine Bonbons klauen.«
    Getmanow verheimlichte seine Beziehung zu Tamara Pawlowna keineswegs, und ebenjetzt schob er sich mit der Schulter an Nowikow heran und flüsterte: »Pjotr Pawlowitsch, da hat sich doch ein dummer Kerl in unsere Ärztin verliebt«, und er schaute Nowikow schmachtend an.
    »Also bitte, Kommissar«, sagte Nowikow und warf einen warnenden Blick auf den Chauffeur.
    »Warum denn, die Bolschewiken sind keine Mönche«, flüsterte Getmanow weiter, »verstehst du, hat sich in sie verliebt, der alte Esel.«
    Sie schwiegen einige Minuten, dann sagte Getmanow, als habe er nicht eben erst ein vertrauliches, freundschaftliches Gespräch geführt: »Du wirst nicht dünner, Pjotr Pawlowitsch, hast deine vertraute Frontatmosphäre wieder. Ich wiederum, weißt du, bin für die Parteiarbeit geschaffen. Im schlimmsten Jahr bin ich ins Gebietskomitee gekommen. Da hätte ein anderer bestimmt die Schwindsucht gekriegt: Der Getreideplan war geplatzt, zweimal hat mich Genosse Stalin angerufen – und doch bin ich fett geworden, wie wenn ich in Kur gewesen wäre. So geht’s dir jetzt auch.«
    »Ach, der Teufel weiß, wofür ich geschaffen bin«, sagte Nowikow, »vielleicht wirklich für den Krieg.« Er musste lachen. »Dabei denke ich, sobald etwas Aufregendes passiert, immer zuallererst: ›Das muss ich unbedingt Jewgenia Nikolajewna erzählen.‹ Als ihr, Neudobnow und du, vorhin die erste deutsche Bombe abgekriegt habt, da habe ich das auch gedacht.«
    »Gibst ihr Politberichte, was?«, fragte Getmanow.
    »Na ja, so ähnlich«, sagte Nowikow.
    »Die Frau, klar«, sagte Getmanow, »die kommt zuerst.«
    Sie kamen zum Standort der Brigade und stiegen aus.
    Durch Nowikows Kopf zogen in unablässiger Folge Menschen, Namen, Ortsnamen, große Aufgaben, kleine Aufgaben, Klarheiten und Unklarheiten, voraussichtlich zu gebende oder zu widerrufende Befehle.
    Nachts wachte er plötzlich auf und quälte sich mit Zweifeln: Sollte man aus Entfernungen schießen, die das Gewinde der Entfernungsskala am Ziel überschritten? Würde sich das Schießen aus der Bewegung bewähren? Würden die Kommandeure der Einheiten schnell und richtig Veränderungen in der Kampfsituation erkennen und selbstständig die richtigen Entscheidungen treffen, die notwendigen Befehle aus dem Augenblick heraus erteilen?
    Dann stellte er sich vor, wie die Panzer, eine Staffel nach der anderen, die deutsch-rumänische Verteidigung durchbrechen, in die Stellungen eindringen und zur Verfolgung übergehen würden, vereint mit den Jagdbombereinheiten, der Artillerie auf Selbstfahrlafetten, der motorisierten Infanterie und den Pionieren, wie sie immer weiter nach Westen vorrücken, unterwegs die Übersetzstellen und Brückenköpfe einnehmen, die Minenfelder umgehen und die Widerstandsnester ausräuchern würden.
    In solchen Nächten fuhr er freudig erregt im Bett hoch, ließ die nackten Füße aus dem Bett hängen und saß eine Weile im Dunkeln da, schwer atmend im Vorgefühl des Glücks.
    Nie hatte er das Bedürfnis, seine nächtlichen Gedanken mit Getmanow zu teilen. Hier in der Steppe ärgerte er sich häufiger über ihn und Neudobnow als im Ural.
    »Die sitzen im Fett«, dachte Nowikow.
    Er war nicht mehr der Gleiche wie im Jahr 1941. Er trank mehr als früher, fluchte häufiger, ärgerte sich öfter. Einmal hatte er sogar die Hand gegen den Chef der Treibstoffversorgung erhoben.
    Er merkte, dass man ihn fürchtete.
    »Der Teufel mag wissen, ob ich für den Krieg geschaffen bin», sagte er, »am besten ist’s doch, mit der Frau, die man liebt, im Wald in einer Hütte zu leben. Man geht auf die Jagd, kommt abends heim. Sie kocht eine Suppe, und dann geht man schlafen. Der Krieg ernährt seinen Mann nicht.«
    Getmanow neigte den Kopf und betrachtete ihn aufmerksam.
    Der Kommandeur der ersten Brigade, Oberst Karpow, ein Mann mit dicken Backen, rotem Haar und stechenden hellblauen Augen, wie sie nur sehr rothaarige Menschen haben, begrüßte Nowikow und Getmanow bei der Funkstelle.
    Seine Kriegserfahrungen hatte er in den Kämpfen an der Nordwestfront gesammelt, wo er seine Panzer oft eingraben und in unbewegliche Feuerpunkte verwandeln musste.
    Er begleitete Nowikow und Getmanow zu den Stellungen des ersten Regiments; man hätte denken können, er sei der

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