Leben und Schicksal
Feinde zu vernichten. Er hatte auch nie mit der Opposition sympathisiert, hatte nie geglaubt, dass Bucharin, Rykow, Sinowjew und Kamenew der Lenin’schen Linie treu geblieben waren. Und Trotzki hatte bei all seiner Brillanz und seinem revolutionären Temperament nie ganz seine menschewikische Vergangenheit leugnen, sich nie auf die Lenin’sche Höhe hinaufschwingen können. Stalin – das war Kraft! Deshalb nannten sie ihn auch den Herrn. Kein einziges Mal hatte seine Hand gezittert; die intelligenzlerhafte Willensschwäche eines Bucharin hatte er nie gekannt. Die von Lenin gegründete Partei folgte Stalin über die Leichen ihrer Feinde hinweg. Die militärischen Verdienste Grekows spielten überhaupt keine Rolle. Mit Feinden diskutierte man nicht, auf ihre Argumente hörte man nicht.
Doch wie sehr er auch versuchte, sich in den Hass gegen Grekow hineinzusteigern, es gelang ihm nicht. Er empfand keine Feindschaft mehr gegen ihn. Wieder fielen ihm seine Worte ein: »Sie leiden …«
»Ja, was hab ich denn da eigentlich geschrieben?«, dachte Krymow plötzlich. »Ist das nicht eine Denunziation?« Es stimmte zwar alles, aber eine Anzeige war es doch. Da half aber nichts, er war schließlich Parteimitglied, musste seine Pflicht tun.
Am nächsten Morgen gab Krymow seinen Bericht in der politischen Frontbetreuung der Stalingradfront ab.
Zwei Tage später rief ihn – in Vertretung des Chefs – der Leiter der Agitations- und Propagandaabteilung der Front-Politverwaltung, Regimentskommissar Ogibalow, zu sich. Toschtschejew selbst war verhindert – er hatte mit dem von der Front eingetroffenen Kommissar des Panzerkorps zu tun.
Der langnasige Regimentskommissar Ogibalow, ein gründlicher und methodischer Mann, sagte zu Krymow: »Sie müssen noch einmal für ein paar Tage auf die rechte Seite rüber, Genosse Krymow, diesmal zur 64., zu Schumilow. Unser Wagen bringt Sie zum Befehlsstand des Partei-Gebietskomitees, und von dort setzen Sie zu Schumilow über; die Sekretäre des Gebietskomitees fahren zur Oktoberfeier nach Beketowka.«
Ohne Hast diktierte er Krymow alles, was er in der politischen Abteilung der 64. Armee zu klären hatte – es waren kränkend unwichtige, langweilige, nur schriftliche Informationsbeschaffung beinhaltende Aufträge, die nicht für die Sache, sondern nur für den Amtsschimmel gebraucht wurden.
»Und was ist mit dem Vortrag?«, fragte Krymow. »Ich habe doch in Ihrem Auftrag einen Festvortrag vorbereitet und wollte ihn den Einheiten vortragen.«
»Das lassen wir erst mal«, sagte Ogibalow und begann Krymow die Gründe für diese Entscheidung zu erläutern.
Als Krymow gehen wollte, hielt ihn der Regimentskommissar mit den Worten zurück: »Tja, was die Geschichte mit Ihrem Bericht betrifft, der Chef der Politverwaltung hat mich informiert.«
Krymows Herz begann stürmisch zu schlagen – die Affäre Grekow lief also bereits. Der Regimentskommissar sagte: »Ihr Held hat Glück gehabt. Gestern hat uns der Chef der Politabteilung der 62. Armee mitgeteilt, dass Grekow beim deutschen Angriff auf das Traktorenwerk mit seiner ganzen Abteilung ums Leben gekommen ist.«
Und er setzte – als wollte er Krymow trösten – hinzu: »Der Armeebefehlshaber hat ihn postum zum Helden der Sowjetunion vorgeschlagen, aber das werden wir jetzt natürlich unterbinden.«
Krymow hob die Arme, als wollte er sagen: »Na ja, der hat Glück gehabt; da kann man nichts machen.«
Die Stimme senkend, fuhr Ogibalow fort: »Der Chef der Sonderabteilung glaubt, dass er womöglich noch lebt und zum Feind übergelaufen ist.«
Zu Hause erwartete Krymow eine Notiz, er solle in der Sonderabteilung vorsprechen.
Also war die Grekow-Sache doch noch nicht abgeschlossen. Krymow beschloss, das unangenehme Gespräch in der Sonderabteilung bis nach seiner Rückkehr zu vertagen – postume Angelegenheiten waren nicht dringend.
38
In dem südlich von Stalingrad gelegenen Dörfchen Beketowka sollte laut Beschluss der örtlichen Parteiorganisation im Werk »Sudowerf« die Festsitzung anlässlich des fünfundzwanzigsten Jahrestages der Oktoberrevolution stattfinden.
Am frühen Morgen des sechsten November versammelten sich die regionalen Parteiführer im unterirdischen Befehlsstand des Stalingrader Gebietskomitees, der in einem Eichenwäldchen am linken Ufer der Wolga versteckt lag. Der Erste Sekretär des Gebietskomitees, die Sekretäre der Fachabteilungen und die Mitglieder des Komiteebüros verzehrten ein dreigängiges warmes
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