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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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unentwegt nach Genia gefragt.«
    Ein unrasierter Alter in einer blauen Steppjacke, aus der dicke Watteklumpen heraushingen, sagte schwer atmend: »Genosse Spiridonow, heute bekommt man den Kutusow, den Lenin und den Stern des Helden der Sowjetunion dafür, dass man dem Volk ordentlich aufs Haupt schlägt. Wie viele hat man schon gemordet, auf unserer und auf der anderen Seite! Was für einen Orden, so zwei Kilo, müsste man Ihrer Tochter dafür verleihen, dass sie in dieser Hölle hier neues Leben hervorgebracht hat.«
    Das war der erste Mensch, der seit der Geburt des Kindes auch einmal von Vera sprach.
    Stepan Fjodorowitsch beschloss, auf dem Schiff zu bleiben, bis es Vera gut genug ging, um mit ihm nach Leninsk zu fahren. Es lag auf dem Weg nach Kuibyschew, wo er sich wegen einer neuen Arbeit melden musste. Er hatte erfahren, dass es mit der Ernährung auf dem Schiff ganz schlecht stand, dass er sofort etwas für Tochter und Enkel organisieren musste, und so machte er sich, nachdem er sich etwas aufgewärmt hatte, zum Befehlsstand des Gebietskomitees auf, der sich irgendwo in der Nähe im Wald befinden sollte. Dort hoffte er, über Freunde Fett und Zucker zu bekommen.
    63
    Dieser Tag im Schiffsrumpf war besonders schwer. Die Wolken hingen tief über der Wolga. Auf dem von Müll und dunklem Abwasser verschmutzten Eis spielten keine Kinder, keine Frauen wuschen in einem Eisloch Wäsche. Ein flussaufwärts kommender eisiger Wind riss Fetzen von den in das Eis gefrorenen Lumpen ab und drang pfeifend und heulend durch die Ritzen der Fensterluke in den Schiffsraum.
    Erstarrt saßen die Menschen herum, in Tücher, warme Jacken und Decken gehüllt. Die geschwätzigsten Weiber lauschten heute stumm dem Heulen des Windes und dem Knirschen der Planken.
    Es begann schon zu dämmern, und es schien, als käme die Dämmerung von der unerträglichen Schwermut der Menschen, von der quälenden Kälte, dem Hunger, Schmutz und der nicht enden wollenden Pein des Krieges.
    Vera lag bis zum Kinn unter einer gefütterten Jacke und spürte bei jedem Windstoß die kalte Luft auf ihren Wangen.
    In diesen Minuten schien alles hoffnungslos – ach, nie würde Stepan Fjodorowitsch sie von hier wegbringen, nie würde der Krieg aufhören, die Deutschen würden im Frühjahr bis zum Ural vordringen, bis nach Sibirien, ewig würden einem ihre Flieger am Himmel das Herz erstarren lassen, würden Bomben krachend explodieren.
    Zum ersten Mal zweifelte sie daran, dass Viktorow in ihrer Nähe war. Es gab ja viele Fronten, aber vielleicht war er gar nicht mehr da, weder an der Front noch im Hinterland.
    Sie schlug die Decke zurück und betrachtete das Gesicht ihres Kindes. Warum es wohl weinte? Wahrscheinlich, weil es fühlte, wie schwer ihr ums Herz war, wie es ja auch ihre Wärme und ihre Milch spürte.
    Alle drückte an diesem Tag die furchtbare Kälte, die Unerbittlichkeit des eisigen Windes, der Schrecken des Krieges über den weiten russischen Ebenen und Flüssen.
    Wie lange der Mensch dieses entsetzliche hungrige und kalte Leben wohl ertragen konnte?
    Die alte Sergejewna, die ihr bei der Entbindung geholfen hatte, kam zu ihr.
    »Du gefällst mir heute gar nicht. Am ersten Tag hast du besser ausgesehen.«
    »Ach, das geht vorbei«, sagte Vera. »Morgen kommt Vater mit Lebensmitteln.«
    Obwohl die Sergejewna froh war, dass man der Wöchnerin Fett und Zucker bringen wollte, sagte sie böse und grob: »Ja, ja, ihr da oben habt immer was zu fressen, ihr habt immer irgendwo eine Quelle. Wir aber haben nur eins – erfrorene Kartoffeln.«
    »Still«, rief jemand, »still doch!«
    Am anderen Ende des Schiffsraums hörte man undeutlich eine Stimme.
    Plötzlich wurde sie laut und übertönte alle Nebengeräusche.
    Irgendjemand las beim Schein einer Petroleumlampe: »In der letzten Stunde … Erfolgreicher Angriff unserer Truppen im Raum Stalingrad … In den letzten Tagen sind unsere um Stalingrad stationierten Truppen zum Angriff gegen die deutsch-faschistischen Truppen übergegangen. Der Angriff verläuft in zwei Stoßrichtungen – vom Nordwesten und vom Süden Stalingrads …«
    Die Menschen standen schweigend und weinten. Ein unsichtbares beglückendes Band spannte sich zwischen ihnen und jenen Männern, die jetzt, das Gesicht mit der Hand vor dem Wind schützend, durch den Schnee marschierten, und mit jenen, die im Schnee in ihrem Blut lagen und sich mit dunklem Blick vom Leben verabschiedet hatten.
    Es weinten Greise, Frauen und Arbeiter. Die Kinder

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