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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Und dafür können wir Hitler dankbar sein. Dem Himmel sei Dank, dass er uns in diesen Zeiten diesen Mann geschickt hat.«
    Er lauschte dem dumpfen Getöse, das schwerfällig über ihre Köpfe rollte – in dem tiefen Keller konnte man nicht unterscheiden, ob die Detonationen von deutschen Geschützen oder sowjetischen Fliegerbomben stammten.
    Halb wartete, bis sich das Donnern gelegt hatte, und sprach weiter: »Es geht nicht an, dass Sie von einer normalen Offiziersration leben. Ich habe Sie in die Liste der besonders wertvollen Parteigenossen und Sicherheitsbeamten eingetragen. Man wird Ihnen regelmäßig mit der Kurierpost Pakete in den Divisionsstab zustellen.«
    »Vielen Dank, aber ich möchte das nicht. Ich werde dasselbe essen wie alle andern.«
    Halb breitete resigniert die Arme aus.
    »Wie geht es bei Manstein? Man sagt, er habe neues Gerät erhalten?«, fragte Lehnard.
    »Ich glaube nicht an Manstein«, sagte Halb. »Da teile ich die Ansicht des Befehlshabers.«
    Dann fügte er mit gewohnt gedämpfter Stimme hinzu, weil seit vielen Jahren alles, was er sagte, zur höchsten Geheimhaltungsstufe gehörte: »Ich habe eine Liste. Darauf stehen Parteigenossen und Sicherheitsbeamte, denen bei einem unglücklichen Ausgang Plätze in Flugzeugen garantiert werden. Sie stehen auch auf dieser Liste … Im Falle meiner Abwesenheit übernimmt Oberst Osten das Kommando.«
    Er bemerkte Lehnards fragenden Blick und sagte: »Es ist möglich, dass ich nach Deutschland fliegen muss. Die Sache ist so geheim, dass man sie weder dem Papier noch einer Funkchiffre anvertrauen kann.«
    Er zwinkerte.
    »Ich werde mich vor dem Flug besaufen, nicht aus Freude, sondern aus Schiss. Die Sowjets schießen viele Maschinen ab.«
    Lehnard sagte: »Parteigenosse Halb, ich steige in kein Flugzeug. Ich würde mich schämen, die Männer im Stich zu lassen, denen ich zugeredet habe, dass sie bis zum Ende durchhalten sollen.«
    Halb erhob sich leicht vom Stuhl.
    »Ich habe kein Recht, Sie von Ihrer Meinung abzubringen.«
    Lehnard wollte das übertriebene Pathos mildern und sagte: »Wenn es möglich ist, helfen Sie mir, aus dem Stab zum Regiment zurückzukommen. Ich habe nämlich keinen Wagen.«
    Halb erwiderte: »Machtlos! Zum ersten Mal bin ich vollkommen machtlos! Das Benzin hat dieser Hundesohn Schmidt. Ich könnte nicht mal einen Tropfen organisieren. Verstehen Sie? Zum ersten Mal!«
    Und auf seinem Gesicht erschien ein dümmlicher, bei ihm ganz ungewohnter, vielleicht aber gerade sein eigentlicher Ausdruck. Dieser Ausdruck war es, der ihn für Lehnard in den ersten Minuten ihrer Begegnung so fremd gemacht hatte.
    35
    Gegen Abend wurde es wärmer, es schneite, und der Schnee deckte den Ruß und Schmutz des Krieges zu. Bach kontrollierte im Dunkeln die Befestigungen der Hauptkampflinie. Ein schwaches, weihnachtliches Weiß leuchtete beim Blitzen der Schüsse auf, der Schnee wurde von den Leuchtkugeln bald rosig, bald zartgrün gefärbt.
    Im Schein dieser Blitze wirkte alles verblüffend sonderbar: die Steinkämme, die Höhlen, die vereisten Ziegelwälle, die unzähligen Hasenfährten, die sich dort wieder abzeichneten, wo die Männer essen, austreten, Minen und Patronen holen, Verwundete ins Hinterland schleppen, Tote begraben mussten. Und zugleich schien alles ganz normal und alltäglich zu sein.
    Bach kam zu einer Stelle, die von den Russen beschossen wurde; sie hielten sich in den Trümmern eines dreistöckigen Hauses auf – von dort wehten die Klänge einer Ziehharmonika und der getragene Gesang des Feindes herüber. Durch eine Bresche in der Mauer eröffnete sich das Panorama der sowjetischen Hauptkampflinie: Fabrikhallen, die zugefrorene Wolga.
    Bach rief nach dem Wachposten, hörte seine Antwort jedoch nicht, da plötzlich eine Sprenggranate explodierte und gefrorene Erdklumpen an die Mauer des Gebäudes trommelten: Ein mit abgeschalteten Triebwerken im Tiefflug gleitendes russisches Flugzeug hatte eine 100-Kilo-Bombe abgeworfen.
    »Lahme Russenkrähe«, sagte der Wachposten und zeigte auf den dunklen Winterhimmel.
    Bach setzte sich hin, stützte sich mit den Ellbogen auf einen ihm schon bekannten Mauervorsprung und schaute sich um. Ein schwacher, rosiger Schatten, der an der hohen Mauer zitterte, zeigte an, dass die Russen den Ofen heizten; der Schornstein war erhitzt und glänzte matt. Es schien, als kauten die Soldaten im russischen Unterstand pausenlos und schlürften ununterbrochen heißen Kaffee.
    Rechts, wo die russischen

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