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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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wohl zum ersten Mal wie ein Untersuchungsrichter drein und verkündete triumphierend: »Trotzki selbst hat über Ihre Schriften gesagt: ›Monumental!‹ Hätte dieses Scheusal die Macht ergriffen, säßen Sie heute auf einem hohen Posten! Das ist kein Scherz: ›Monumental!‹«
    »Da sind sie, die Trümpfe«, dachte Krymow, »er hat das As ausgespielt.«
    Gut, gut, er würde alles sagen – wann und wo –, aber man könnte doch sogar dem Genossen Stalin dieselben Fragen stellen. Zum Trotzkismus hatte Krymow keinerlei Beziehung, er hatte immer gegen die trotzkistischen Resolutionen gestimmt, nicht ein einziges Mal dafür.
    Aber die Hauptsache war doch für ihn: die Stiefel ausziehen, sich hinlegen, die bloßen Füße hochstellen, schlafen und sich dabei kratzen.
    Der Untersuchungsrichter aber sagte leise und liebevoll: »Warum wollen Sie uns nicht helfen? Geht es etwa darum, dass Sie vor dem Krieg keine Verbrechen begangen haben, dass Sie in der Einkesselung die Verbindung zum Feind nicht erneuert und keine konspirativen Treffen mit ihm abgehalten haben? Die Angelegenheit ist ernster, schwerwiegender. Es geht um den neuen Kurs der Partei. Helfen Sie der Partei auf der neuen Etappe des Kampfes. Dafür muss man sich von den alten Standpunkten lösen. Eine solche Aufgabe können nur Bolschewiken leisten. Das ist der Grund, weshalb ich mit Ihnen spreche.«
    »Na schön, gut«, sagte Krymow schläfrig, »ich kann zugeben, dass ich, gegen meinen Willen, zum Verkünder von parteischädlichen Ansichten geworden bin. Mein Internationalismus mag in Widerspruch zu der Auffassung von einem souveränen, sozialistischen Staat geraten sein. Gut, aufgrund meines Charakters sind mir nach 1937 der neue Kurs und die neuen Leute fremd geworden. Ich bin bereit, das zu gestehen. Aber Spionage, Diversion …«
    »Was soll denn das ›Aber‹? Sie sehen doch, dass Sie bereits auf dem Weg sind, Ihre feindselige Einstellung gegenüber der Sache der Partei zu erkennen. Ist die Form wirklich von Bedeutung? Warum dieses ›Aber‹, wenn Sie das Grundsätzliche zugeben?«
    »Nein, ich gebe nicht zu, Spion zu sein.«
    »Das heißt, Sie wollen der Partei überhaupt nicht helfen? Unser Gespräch kommt zur Sache – und wieder wollen Sie sich herauswinden, ja? Ein Stück Scheiße sind Sie, ein Stück Hundescheiße!«
    Krymow sprang auf, packte den Untersuchungsrichter an der Krawatte, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, und im Telefon klirrte etwas. Er schrie mit durchdringender dünner Stimme: »Du Hundesohn, du Halunke, wo warst du, als ich meine Leute im Kampf durch die Ukraine, durch die Wälder von Brjansk geführt habe? Wo warst du, als ich mich im Winter bei Woronesch geschlagen habe? Warst du in Stalingrad, du Schuft? Habe ich denn nichts für die Partei getan? Hast du, du Bullenvisage, die sowjetische Heimat hier in der Lubjanka verteidigt? Und habe ich in Stalingrad nicht unsere Sache verteidigt? Warst du in Schanghai unter dem Galgen? Hat dir oder nicht doch mir ein Koltschak-Mann die linke Schulter durchschossen?«
    Dann schlugen sie ihn, aber nicht einfach ins Gesicht, wie in der Sonderabteilung an der Front, sondern durchdacht, wissenschaftlich, mit Kenntnis der Physiologie und Anatomie. Zwei junge Kerle in neuen Militäruniformen schlugen ihn, und er schrie sie an: »Euch hätte man längst ins Strafbataillon stecken müssen … In die Panzerabwehr mit euch … Deserteure …«
    Sie arbeiteten ohne Zorn, ohne Eifer. Sie schlugen nicht stark, ohne Schwung, aber ihre Schläge waren entsetzlich, wie eine ruhig ausgesprochene Gemeinheit entsetzlich sein kann. Krymow lief Blut aus dem Mund, obwohl sie ihn kein einziges Mal auf die Zähne geschlagen hatten, das Blut kam nicht aus der Nase, nicht aus dem Kiefer, nicht aus der angebissenen Zunge wie in Achtuba. Das Blut kam aus der Tiefe, aus der Lunge. Er wusste nicht mehr, wo er war, er wusste nicht mehr, was mit ihm geschah … Über ihm tauchte wieder das Gesicht des Untersuchungsrichters auf, er zeigte mit dem Finger auf das Bild von Gorki, das über dem Tisch hing, und fragte: »Was hat der große proletarische Schriftsteller Maxim Gorki gesagt?« Und gab die schulmeisterliche Antwort: »Wenn der Feind sich nicht ergibt, wird er vernichtet.«
    Dann sah er ein Lämpchen an der Decke und einen Mann mit schmalen Schulterstücken.
    »Na ja, wenn es die Medizin erlaubt«, sagte der Untersuchungsrichter, »jetzt ist genug ausgeruht.«
    Bald saß Krymow wieder am Tisch, hörte kluge

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