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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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einfach so, ohne Absprache, dem Korps die Luftsicherheit entziehen, einem Korps, das weiter als alle anderen Fronteinheiten nach Westen vorgedrungen ist?«
    Der Stellvertreter sagte gereizt: »Von hier aus ist besser zu übersehen, wie die Luftstreitkräfte einzusetzen sind. Nicht nur Ihr Korps ist an der Offensive beteiligt.«
    Nowikow fragte barsch: »Und was soll ich den Panzersoldaten sagen, wenn es von oben zu knallen anfängt? Soll ich sie dann mit dem Frontleitungsbefehl schützen?«
    Der Stellvertreter brauste nicht auf, sondern sagte beschwichtigend:
    »Fahren Sie zu den Einheiten. Ich werde dem Oberbefehlshaber die Lage schildern.«
    Kaum hatte Nowikow den Hörer aufgelegt, trat Getmanow ein, schon in Mantel und Mütze. Bei Nowikows Anblick breitete er bestürzt die Arme aus.
    »Pjotr Pawlowitsch, ich dachte, du seist schon weg.«
    Er fuhr in freundlichem Ton fort: »Die rückwärtigen Dienste sind zurückgeblieben, und ihr verantwortlicher Stellvertreter sagt mir, man solle keine Fahrzeuge auf kranke und verwundete Deutsche losschicken, das knappe Benzin verschwenden.« Er schaute Nowikow listig an. »In der Tat, wir sind doch keine Kominternsektion, sondern ein Panzerkorps.«
    »Was hat das mit der Komintern zu tun?«, fragte Nowikow.
    »Fahren Sie, fahren Sie schon, Genosse Oberst«, sagte Neudobnow, »jede Minute ist kostbar. Ich werde versuchen, in den Verhandlungen mit dem Frontstab das Beste herauszuholen.«
    Nach der nächtlichen Erzählung von Darenski hatte Nowikow dem Stabschef ständig ins Gesicht gesehen, seine Bewegungen beobachtet und auf seine Stimme geachtet. »Hat er es mit derselben Hand getan?«, hatte er gedacht, wenn Neudobnow einen Löffel, eine Gabel mit einem Stück saurer Gurke, den Telefonhörer, einen Rotstift oder die Streichhölzer in die Hand nahm.
    Jetzt aber sah Nowikow nicht auf Neudobnows Hand. Noch nie hatte er ihn so sympathisch, so aufgeregt, so freundlich erlebt.
    Neudobnow und Getmanow waren bereit, ihre Seelen dafür zu verkaufen, dass das Korps als Erstes die ukrainische Grenze überquerte, dass die Brigaden ohne Verzögerung in Richtung Westen rollten.
    Sie waren bereit, dafür jedes Risiko einzugehen, nur eines wollten sie nicht auf sich nehmen: die Verantwortung im Falle eines Misserfolges.
    Nowikow fieberte plötzlich. Er wollte der Frontleitung einen Funkspruch senden und darin mitteilen, dass die Vorauseinheiten des Korps als Erste die ukrainische Grenze überschritten hätten. Dieses Ereignis hatte überhaupt keine militärische Bedeutung, fügte dem Gegner keinen besonderen Schaden zu. Aber Nowikow wollte es – um des Kriegsruhms, der Dankbarkeit des Oberbefehlshabers, des Ordens, der Belobigung von Wassilewski und des Befehls von Stalin willen, der im Radio verlesen würde, er wollte es wegen des Generalstitels und des Neides der Nachbarn. Noch nie hatten derartige Gedanken und Gefühle seine Handlungen geleitet, aber vielleicht waren sie deshalb jetzt so stark.
    An diesem Wunsch war nichts Verwerfliches. Die Kälte war genauso erbarmungslos wie 1941 und wie in Stalingrad, die Müdigkeit zermürbte die Soldaten wie früher, der Tod war schrecklich wie eh und je. Aber der Krieg atmete nun eine andere Luft.
    Nowikow war das nicht klar, er wunderte sich nur, dass er zum ersten Mal so leicht, fast ohne Worte, das Einvernehmen mit Getmanow und Neudobnow erreichte, ohne sich zu ärgern oder gekränkt zu sein – so selbstverständlich wollte er dasselbe wie die beiden anderen.
    Der beschleunigte Vormarsch seiner Panzer hätte tatsächlich dazu geführt, dass die Besatzer um einige Stunden früher aus Dutzenden von ukrainischen Dörfern vertrieben worden wären, und Nowikow hätte sich gefreut über die erregten Gesichter der Alten und der Kinder, die Tränen wären ihm in die Augen gestiegen, wenn ihn eine alte Bäuerin wie einen Sohn umarmt und geküsst hätte. Zugleich reifte eine neue Leidenschaft heran, der Kampfgeist schlug eine neue Richtung ein; jener Kampfgeist, der 1941 und in der Schlacht um Stalingrad geherrscht hatte, war zwar noch vorhanden, wurde aber unmerklich überdeckt von einem anderen Gefühl. Diesen heimlichen Umschwung durchschaute als Erster der Mann, der am 3. Juli 1941 gesprochen hatte: »Brüder und Schwestern, meine Freunde …«
    Seltsam, Nowikow teilte die Aufregung von Getmanow und Neudobnow, die ihn drängten, verzögerte jedoch seine Abreise, ohne zu wissen warum. Er saß schon im Wagen, als er die Ursache erkannte – er wartete

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