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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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fragte: »Was erzählt denn der Alte über das Werk?«
    Natalja antwortete: »Pawel Andrejewitsch hat auf Sie gewartet, jetzt ist er eingeschlafen.«
    Sie setzte sich an den Tisch, stützte das Kinn in die Hände und fuhr fort: »Stepan Fjodorowitsch, fahren Sie tatsächlich weg?«
    »Na so was! Davon habe ich auch schon gehört«, sagte er fröhlich.
    Sie sagte: »Das wird den Arbeitern sehr leidtun.«
    »Weshalb denn, der Neue, Tischka Batrow, ist ein guter Mann, wir haben zusammen studiert.«
    Alexandra Wladimirowna fragte: »Wer wird Ihnen dort so kunstvoll die Socken stopfen? Vera kann das nicht.«
    »Das ist wirklich die Frage«, sagte Stepan Fjodorowitsch.
    »Also muss Natalja auch mit«, sagte Alexandra Wladimirowna.
    »Klar«, rief Natascha, »ich fahre mit!«
    Sie lachten, aber die Stille nach dem scherzhaften Gespräch war gespannt und betreten.
    61
    Alexandra Wladimirowna beschloss, mit Stepan Fjodorowitsch und Vera bis Kuibyschew zu fahren. Sie wollte einige Zeit bei Jewgenia Nikolajewna verbringen.
    Einen Tag vor der Abreise bat Alexandra Wladimirowna den neuen Direktor, ihr einen Wagen zur Verfügung zu stellen. Sie wollte sich die Stadt und die Trümmer ihres Hauses anschauen.
    Unterwegs fragte sie den Fahrer: »Und hier? Was war hier früher?«
    »Wann früher?«, fragte der Fahrer ärgerlich.
    Drei Lebensschichten waren in den Ruinen der Stadt sichtbar geworden: eine, die zur Vorkriegszeit gehörte, die zweite, die in die Zeit des Krieges und der Kämpfe fiel, und die jetzige, da das Leben wieder seinen friedlichen Verlauf suchte … In dem Haus, in dem vor dem Krieg eine chemische Reinigung und eine kleine Änderungsschneiderei untergebracht waren, hatte man die Fenster mit Ziegelsteinen zugemauert, in die Steine waren Schießscharten geschlagen, aus denen MG-Schützen einer deutschen Grenadierdivision gefeuert hatten. Jetzt wurde durch eine Schießscharte Brot an schlangestehende Frauen ausgegeben.
    Erdhütten und Unterstände waren zwischen den Trümmern gewachsen, in denen Soldaten, Stabspersonal und Funkstellen ihr Quartier gehabt hatten; dort waren Berichte geschrieben, Maschinenpistolen geladen, Maschinengewehre schussbereit gemacht worden.
    Nun aber stieg friedlicher Rauch aus den Kaminen, neben den Unterständen trocknete Wäsche, Kinder spielten.
    Der Frieden erwuchs aus dem Krieg – ein elender, armer Frieden, der fast genauso schlimm war wie der Krieg.
    Der Schutt, der auf den Hauptstraßen lag, wurde von Kriegsgefangenen weggeräumt. Vor den Lebensmittelgeschäften in den Kellern standen Menschen mit kleinen Eimern Schlange. Rumänische Kriegsgefangene stocherten träge in den Trümmern nach Leichen und gruben sie aus. Soldaten waren nicht zu sehen, nur dann und wann tauchten Matrosen auf. Der Fahrer erklärte, die Wolgaflotte sei in Stalingrad geblieben und habe mit dem Minenräumen begonnen. An vielen Stellen waren frische, nicht angebrannte Bretter, Balken, Zementsäcke aufgestapelt – man hatte Baumaterialien herangeschafft. Hier und da wurden zwischen den Ruinen sogar die Straßen neu geteert.
    Über den leeren Platz ging eine Frau, sie war vor einen mit Kleiderbündeln beladenen zweirädrigen Karren gespannt; zwei Kinder halfen ihr, zogen an den Stricken, die an der Gabeldeichsel befestigt waren. Alles zog nach Hause, nach Stalingrad, Alexandra Wladimirowna aber war gekommen und würde wieder wegfahren.
    Sie fragte den Fahrer: »Bedauern Sie, dass Spiridonow nicht im ›Stalgres‹ bleibt?«
    »Ist mir doch egal«, sagte der Fahrer. »Spiridonow hat mich herumgescheucht, der Neue wird es auch tun. Jacke wie Hose. Die geben den Fahrbefehl, und ich fahre.«
    »Und was ist das hier?«, fragte sie und zeigte auf eine breite, rußgeschwärzte Mauer mit leeren Fensterhöhlen.
    »Verschiedene Behörden. Man hätte das Haus lieber den Menschen überlassen sollen.«
    »Und was war hier vorher?«
    »Vorher war hier Paulus einquartiert. Hier wurde er auch gefangen genommen.«
    »Und noch früher?«
    »Erkennen Sie es nicht? Das war das Warenhaus.«
    Es schien, als habe der Krieg das frühere Stalingrad verdrängt. Man konnte sich gut vorstellen, wie deutsche Offiziere den Keller verließen, wie der deutsche Generalfeldmarschall an dieser rußigen Mauer vorbeischritt und die Wachposten vor ihm salutierten. War das wirklich der Ort gewesen, wo Alexandra Wladimirowna einst Mantelstoff und eine Uhr gekauft hatte, die sie Marussja zum Geburtstag schenkte? War sie mit Serjoscha hier gewesen und

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