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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Verwalter, komm und setz dich zu uns!« Abartschuk verachtete sich wegen dieser geheimen Wünsche, er fühlte, dass es ihm nicht nur ums Essen ging, sondern dass da noch eine andere Regung mitspielte, eine niedrige, unwürdige Straflager-Regung: die Hoffnung, in den Kreis der Mächtigen aufgenommen zu werden, auf vertrautem Fuß mit einem Perekrest zu stehen, vor dem alle in diesem riesigen Lager zitterten.
    Und Abartschuk sagte zu sich selbst: »Du Aas!«, und von Barchatow dachte er dasselbe: »Du Aas!«
    Sie baten Abartschuk nicht zu sich, sie luden Neumolimow ein, und der Kommandeur einer Kavalleriebrigade, ausgezeichnet mit zwei Rotbannerorden, ging, mit seinen braunen Zähnen lächelnd, zu ihnen. Dieser lächelnde Mann, der jetzt an den Tisch der Diebe trat, hatte vor zwanzig Jahren Kavallerieregimenter in den Kampf für die Weltrevolution geführt. Warum nur hatte er heute mit Neumolimow über Tolja gesprochen, über das Teuerste, was er besaß?
    Und er? War nicht auch er für den Kommunismus in den Kampf gezogen, hatte er nicht von seinem Dienstzimmer imKusbass 22 Stalin persönlich über den Aufbau im Kohlebecken von Kusnezk Bericht erstattet? Und jetzt hoffte er, Abartschuk, dass ihn die Diebe zu sich rufen würden, während er mit gesenktem Kopf und scheinbar gleichgültiger Miene an dem Tischchen mit dem schmutzigen bestickten Handtuch vorüberging.
    Abartschuk blieb vor Monidses Pritsche stehen. Monidse stopfte eine Socke und sagte: »Weißt du, was ich gedacht habe? Ich beneide nicht, die draußen in Freiheit sind. Die in ein deutsches Konzentrationslager geraten sind, die beneide ich. Wie schön, wenn man einsitzt und weiß, dass man von einem Faschisten geprügelt wird. Wir sind hier doch in der schrecklichsten Lage, werden von unseren eigenen Leuten misshandelt.«
    Monidse hob seine großen, traurigen Augen und fuhr fort: »Mir hat Perekrest heute gesagt: ›Pass auf,Kazo, 23 dir werde ich mit der Faust eins auf den Schädel geben, und das werde ich sogar selbst auf der Kommandantur melden – man wird mir noch danke schön dafür sagen. Du bist der mieseste aller Verräter.«
    Abrascha Rubin, der auf der Pritsche daneben saß, bemerkte: »Und das ist noch nicht das Schlimmste.«
    »Ja, ja«, sagte Abartschuk. »Hast du gesehen, wie unser Brigadekommandeur sich gefreut hat, als die ihn eingeladen haben?«
    »Aber dich hat es doch gekränkt, weil sie dich nicht eingeladen haben, stimmt’s?«, sagte Rubin.
    Wut stieg in Abartschuk hoch, weil er sich ertappt fühlte, Wut auf Rubin, weil der recht hatte mit seinem Vorwurf, und er sagte: »Lies du in deiner eigenen Seele und lass meine in Ruhe!«
    Rubins Lider fielen halb über die Augen, wie bei einem Huhn.
    »Ich?«, sagte er. »Ich wage nicht einmal, beleidigt zu sein. Ich zähle zur niedersten Kaste, ich bin ein Paria. Hast du mein Gespräch mit Kolka nicht mitgehört?«
    »Ach was!«, brach Abartschuk die Unterhaltung ab. Er wandte sich um und schritt den Gang wieder hinunter zum Podest. Und wieder schnappte er Worte dieses endlosen Gesprächs auf.
    »Borschtsch mit Schweinefleisch, an Werk- und Feiertagen …«
    »Brüste hat die, du glaubst es nicht …«
    »Ich mag’s gern einfach, Hammelfleisch mit Kascha. Lasst mich mit euren Mayonnaisen in Ruhe, Bürger …«
    Er machte wieder kehrt und ging zu Monidse, setzte sich auf den Rand seiner Pritsche und hörte dem Gespräch zu.
    Monidse, der noch immer seine Socke stopfte, sagte: »Verdammte Sache! Denunzieren, das ist wohl das Letzte …«
    »Das Letzte? Wieso?«, mischte sich Abartschuk ein. »Du bist doch ein Kommunist?«
    »Genau wie du«, erwiderte Monidse. »Ein Exkommunist.«
    »Ich bin kein Exkommunist. Und du auch nicht«, sagte Abartschuk.
    Abermals erregten Rubins Worte Abartschuks Zorn, weil sie auch diesmal seine geheimsten Gedanken trafen:
    »Der Kommunismus hat damit nichts zu tun«, sagte Rubin. »Dreimal am Tag ein Abwaschwasser aus Maismehl – ich hab’s satt. Ich kann diese Suppe nicht mehr sehen. Das zum ›Dafür‹ – und jetzt zum ›Dagegen‹: Wer will schon Opfer einer nächtlichen Aburteilung werden, nach der man dich am Morgen auf der Latrine findet – mit dem Kopf im Loch wie Orlow. Hast du mein Gespräch mit Kolka Ugarow mit angehört?«
    »Kopf unten, Beine oben!«, sagte Monidse und lachte, wahrscheinlich weil es nichts zu lachen gab.
    »Willst du etwa behaupten, dass mich niedere Instinkte beherrschen?«, fragte Abartschuk und empfand ein geradezu hysterisches

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