Lebendig und begraben
»Es gibt also doch noch Zeichen und Wunder!«
Ich nickte.
»Sie konnten das Geld nicht ausschlagen?«
»Na klar«, antwortete ich sarkastisch. »Es geht natürlich nur ums Geld.«
»Haben Sie ein Problem mit Geld?«
»Nein. Es ist … es ist kompliziert. Das hier hat nichts mit Marshall Marcus zu tun. Ich mag nur zufällig seine Tochter. Und ich mache mir Sorgen um sie.«
»Warum flippt er denn so aus? Ich meine, he, sie ist siebzehn, oder nicht? Sie fährt in die Stadt, geht wahrscheinlich in irgendeinen Club und lässt sich von einem Kerl abschleppen. So etwas machen diese Kids eben.«
»Haben Sie in Alexas Alter zügellos herumgevögelt, Dorothy?«
Sie warf mir einen strengen Blick zu und hob warnend ihren Zeigefinger mit dem langen, lila lackierten Fingernagel. Mir war absolut nicht klar, wie sie mit solchen Fingernägeln auf einer Tastatur tippen konnte.
Ich lächelte. Auch wenn ich nur wenig über ihr Sexualleben wusste, war mir klar, dass sie alles andere als leichtfertig war.
»Eben. Ich komme auch nicht dahinter«, gab ich zu.
»Ich meine, ich würde verstehen, dass ihr Dad die Beherrschung verloren hätte, wenn es kurz nach der Entführung auf dem Parkplatz gewesen wäre. Aber die liegt ja bereits ein paar Jahre zurück, hab ich recht?«
»Allerdings. Ich glaube, er weiß mehr, als er mir erzählt.«
»Was zum Beispiel?«
»Keine Ahnung.«
»Vielleicht sollten Sie ihm ein paar sehr direkte Fragen stellen.«
»Das werde ich auch tun. Und jetzt erzählen Sie mir etwas über Facebook.«
»Ich soll Ihnen etwas über Facebook erzählen? Darüber müssen Sie nur eins wissen, Nick, nämlich dass Facebook nichts für Sie ist.«
»Ich meine Alexa. Sie ist doch auf Facebook, stimmt’s?«
»Ich glaube langsam, dass Facebook für alle Teenager gesetzlich vorgeschrieben ist«, sagte sie.
»Vielleicht finden wir ja etwas auf Facebook. Posten dort Jugendliche nicht alles, was sie tun, und zwar permanent?«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich auch nur das Geringste über Teenager weiß?«
»Sehen Sie nach, was Alexa auf Facebook geschrieben hat, okay?«
»Das können wir nur, wenn Sie einer ihrer ›Freunde‹ sind.«
»Können Sie nicht einfach Ihr Passwort hacken?«
Dorothy zuckte mit den Schultern. »Ich kann es versuchen.«
»Und wieso ist es ein Problem, Alexas iPhone zu lokalisieren?«
»Es ist schlicht und einfach unmöglich, es sei denn, man ist bei der Polizei.«
»Ich dachte, es gäbe eine Möglichkeit für iPhone-Besitzer, ihre verlorenen Handys aufzuspüren.«
»Dazu bräuchten wir ihren Mac-Usernamen und ihr Passwort. Ich hege die starke Vermutung, dass sie Daddy solche Sachen wie Passwörter nicht gerade auf die Nase bindet.«
»Können Sie es nicht knacken oder hacken oder was auch immer Sie mit so etwas machen?«
»Na klar, ich schnippe mit den Fingern und bin drin, wie durch Zauberei. Nein, Nick, so etwas braucht Zeit. Ich muss eine Liste mit den Namen ihrer Haustiere anfertigen, mit allen wichtigen Daten, dann die zehn verbreitetsten Passworte ausprobieren, und trotzdem wäre das nur ein Schuss ins Blaue. Und selbst wenn ich Erfolg habe, stehen die Chancen hoch, dass wir nicht weiterkommen, weil sie den MobileMe-Finder auf ihrem Handy aktiviert haben müsste, was ich bezweifle. Sie ist siebzehn und hat wahrscheinlich keine Ahnung von Technik.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Der schnellste Weg wäre es, AT&T zu bitten, das Handy über ihr Netzwerk mit einem Ping zu suchen.«
»Und das machen sie wahrscheinlich nur für die Polizei«, kam ich ihr zuvor. »Also muss es einen anderen Weg geben, das Handy dieses Mädchen zu finden.«
»Keinen, den ich kenne.«
»Sie geben auf?«
»Ich habe gesagt, keinen, den ich kenne. Ich habe nichtgesagt, dass ich aufgebe. Ich gebe nie auf.« Sie blickte hoch und bemerkte Gabe, der sich vor meiner Bürotür herumdrückte. »Außerdem glaube ich, Ihr Herr Sohn wird langsam hungrig«, meinte sie und zwinkerte.
11. KAPITEL
Ich ging mit Gabe ins
Mojos,
einer Bar ein Stück die Straße hinunter, in der Lunch serviert wurde. Es war eine typische Bostoner Bar. Über fünf Flachbildschirme flimmerten Sportberichte oder Sportnachrichten, überall standen Trophäen der Red Sox und der Celtics herum, im Hinterzimmer war ein Kicker aufgebaut, die Speisekarte beschränkte sich auf Chicken Wings, Nachos und Burger, und der Boden bestand aus klebrigen Holzdielen. Sie servierten gutes, kühles Bier und auch die berüchtigte heimische Brühe,
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