Lebensbilder I (German Edition)
erwuchsen. Ubrigens kann vielleicht die bizarre, von Rechts- und Unrechtsbegriffen wenig angefochtene Art, wie sich Schiff betrug, echt gewesen sein; aber in seinen Dichtungen war er ein oft recht nüchterner Verstandesmensch, dessen erzwungene Kälte und raffiniert-psychologische Behandlung seiner Stoffe nicht selten die frostigsten Eindrücke hinterläßt. – –
Schiffs erste dichterische Periode, die 1825 einsetzt – von den Jugenddichtungen hat sich nichts erhalten – zeigt ihn als getreuen Schüler der Romantik. E. Th. A. Hoffmann und Ludwig Tieck sind seine ersten Vorbilder. Eine Fortsetzung des »Kater Murr« ist das erste Buch, das er veröffentlichte. Es führt den Titel » Nachlaß des Katers Murr . Eine Fortsetzung der Lebensansichten des Katers Murr von E. Th. A. Hoffmann. Nebst einer Vorrede des Herausgebers.« (Leipzig 1826, bei Wilhelm Lauffer). Diese Fortsetzung des Hoffmannschen Fragmentes wird am prägnantesten durch eine Äußerung Heines charakterisiert, der an Moser schrieb [Fußnote: Sämtliche Werke ed. Strodtmann, XIX, 237. ] : »Hast Du schon gehört, daß mein Vetter Schiff Hoffmanns »Kater Murr« fortsetzt? Ich habe von dieser Schreckensnachricht fast den Tod aufgeladen.« Dieses Urteil, das ohne Kenntnis der Schiffschen Arbeit gefällt wurde, trifft trotz seiner Impulsivität ins Schwarze. Ein neuerer Beurteiler, Franz Leppmann , in seinem anregenden Buche »Kater Murr und seine Sippe« [Fußnote: Eine Katzendichtung, die Leppmann entgangen ist, rührt von Eduard Maria Öttinger her. (»Argus« (Hamburg) 1837 Nr. 32.) Es ist ein »Tiergespräch zwischen einer Katze und einem Mops«. ] (München 1908, Seite 26 ff.) ist geneigt, der Fortsetzung nicht allen Wert abzusprechen. Sie ist aber, was wohl den schwersten Vorwurf bedeutet, stillos und vom Geiste des Originals ganz und gar nicht erfüllt. Sie knüpft recht äußerlich an Hoffmanns Dichtung an, hat aber innerlich mit ihr sehr wenig zu tun. Auch in der Form, die bei Schiff unheimlich verkünstelt und wenig übersichtlich ist, hält er sich nicht an das große Vorbild. Er wollte anscheinend der Hoffmann des Hoffmann sein, wie Karoline Schlegel von Tieck meinte, daß er im »Gestiefelten Kater« den Tieck des Tieck habe spielen wollen.
Schon in diesem Erstlingswerke begegnet Schiffs später immer wiederkehrende Vorliebe für Binnenerzählungen. Das geht wohl auf die Vorliebe der Romantiker für das Theater im Theater, für Rahmen- und Binnenerzählungen zurück, die Schiff bei ihnen kennen zu lernen, vielfach Gelegenheit hatte. Da er im »Kater Murr« die eigenartigste Form der Einschalterzählung gefunden hatte, fühlte er sich wohl zu der Fortsetzung angeregt. Allerdings verzerrte er das Hoffmannsche Vorbild bis zu den äußersten Grenzen des Möglichen. Im »Nachlaß des Kater Murr« finden sich nicht nur ineinandergeschaltete Erzählungen, sondern auch noch zwei Supplemente, die mit der Hauptgeschichte in den engsten Beziehungen stehen. Nur erfolgt die Verknotung der Geschehnisse recht äußerlich; von einem Ineinanderweben, wie etwa der Begebenheiten in den »Bekenntnissen einer schönen Seele« in die Fäden der eigentlichen Handlung von »Wilhelm Meisters Lehrjahren«, ist bei Schiff keine Rede.
Um von dem Inhalte des »Nachlasses des Katers Murr« auch nur eine schwache Vorstellung zu geben, ist es nötig, die einzelnen Geschichten gesondert und ausnahmsweise etwas breiter zu charakterisieren.
In der Vorrede versichert Schiff den Leser zunächst weitläufig seiner Hochachtung und behauptet, daß das Werk wirklich von einem Kater herrühre und von ihm nur herausgegeben werde. Allerdings verkennt er nicht, daß die Leser sehr gelehrt sind und wissen, daß Tiere nur in der Fabel reden, und daß nichts für wirklich gehalten wird als das, wovon sich die Existenz beweisen läßt. So obliegt es ihm also, diese Existenz wissenschaftlich darzutun. Vorher aber bespricht er den Inhalt seines Buches, das aus dem ersten Hefte der Reisen des Katers besteht (anscheinend waren also mehrere Hefte solcher Reisen geplant) nebst hindurchlaufenden Makulaturblättern (vermutlich eines Manuskriptes, das der Autor auf seinen Reisen gefunden und verbraucht hat). Da des Katers Manuskript für einen Band nicht völlig ausgereicht, ein zweites Heft seiner Reiseschilderungen den Band aber zu unförmig gemacht hätte, habe der Herausgeber (Schiff) von dem zweiten Hefte des Katers so viel abgerissen, als für das Ausmaß des Buches nötig war. So
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