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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sähen sie nichts.
    Aber endlich brach der Alte das einförmige Schweigen. »Marie,« sagte er mit weicher Stimme, »setze den Stuhl weg!«
    »Ich sitze hier so warm!«
    »Ich bitte dich, setze den Stuhl beiseite!«
    »Er kann dir nicht im Wege sein, er hat hier oftmals gestanden.« Sie konnte sich der Tränen hierbei nicht erwehren.
    »Warum weinst du?« fragte Piombo seine Gattin.
    »Ich denke an mein Vaterland, ich werde bald sterben und hätte gern die liebe Heimat wiedergesehen.«
    »Das ist nicht wahr,« sagte Bartholomeo, »sag mir, warum du weinst?«
    »Ich denke an meinen lieben Gregorio, jetzt wär' er siebenundzwanzig Jahre alt, und wir hätten doch jemanden, mit dem wir ein Wort reden könnten, statt daß wir jetzt vor Langerweile sterben.«
    »Auch das ist es nicht,« versetzte Bartholomeo streng, »ich will es wissen, warum du weinst?«
    »Nun ja,« brach die Alte heftig aus, »ich denke an meine liebe Ginevra. Es ist schändlich, daß Eltern so unversöhnlich sind wie wir. Aber ich kann dafür nicht. Du hast nicht einmal gelitten, daß ich binnen drei Jahren ihren Namen nannte, ich habe dir gehorcht, aber nachts, wenn du schliefst, habe ich mein Kopfkissen Ginevra genannt und es mit Tränen und Küssen gebadet.« –
    »Ich schlief nicht,« versetzte der Korse, »ich hörte dich schluchzen und stöhnen und stellte mich schlafen, um deinen einzigen Trost dir nicht zu rauben.«
    »Wenn du dies getan hast, warum scheinst du viel hartherziger als du bist? Seit vierzehn Tagen steht Luigi Porta vor unseren Türen Schildwacht. Der arme Junge sieht sich nicht mehr ähnlich. Die Nachbarn alle wundern sich und betrauern den großen, bleichen Mann, der in Sturm und Schnee nicht vom Flecke weicht und sehnsüchtige Blicke nach unsern Fenstern wirft. Aber du hast seitdem das Haus nicht einmal verlassen, aus Furcht, ihm begegnen zu können. – Ach Gott! ach Gott! wenn es meiner Ginevra traurig geht. – Sie hat vielleicht kein warmes Zimmer.«
    »Dafür muß der Porta sorgen.«
    »Vielleicht leidet sie Hunger und Not.«
    »Der ist ein ehrloser Mensch, der sein Weib hungern läßt und sich nicht lieber totarbeitet.«
    »So ist sie vielleicht krank – todkrank und möchte ihre Eltern gerne sehen, bevor sie stirbt.« –
    Da erweichte sich endlich das Vaterherz, dessen Stolz so lange den natürlichen Regungen widerstanden, der eisgraue Korse fing bitterlich an zu weinen und rief: »Ja, du hast recht, liebe, gute Marie, wir wollen unser Kind wiedersehen, ich will auch den Fluch zurücknehmen, will sie lieben, ihr alles abbitten! Ach! ich hätte es ja schon längst getan, hättest du mit mir geredet wie heut.«
    »Und Luigi Porta? Wenn er wiederkommt, willst du ihn sehen? – Er hat sich sehr verändert. Die dir so verhaßten Züge der Portas hat er ganz aus dem Gesichte verloren.«
    »Ja, liebes Weib!«
    Hurtig verließ die Alte ihren warmen Sitz und eilte ans eisbedeckte Fenster. – Sie konnte nicht hindurchsehen.
    »Gib dir keine Mühe,« sprach der Greis, »er steht heute nicht mehr da – und das hat mich umgestimmt. Aber ich will zu ihm senden, meine Liebe, beruhige dich.« – Er schellte, und Jean wurde abgesandt, Luigi Porta und seine Gattin herbeizurufen.
    »Er war schon wieder früh hier im Hause,« versetzte der treue Diener, »aber ich wagte nicht, ihn einzulassen, weil es der gnädige Herr mir streng befohlen.«
    Eine Viertelstunde brachten die beiden Alten in Angst und Hoffnung zu, da trat Jean ein und meldete mit bekümmertem Gesicht, Luigi Porta sei ihm gefolgt, nicht aber Ginevra.
    In diesem Augenblick trat auch Luigi ein, bleich, mit rotgeweinten Augen und abgehärmten Wangen, wie ein Gespenst anzusehen.
    »Hier, Porta. hast du Piombos Hand,« redete der Greis ihn an. »Wir wollen jetzt Frieden machen.«
    »Wozu?« fragte Luigi. »Es gibt keine Rache mehr unter uns. Ginevra ist tot. Ich folge bald ihr nach, und Ihr seid auch vom Grabe nicht weit mehr, wir nehmen uns nicht viel, wenn wir uns das Leben nehmen.«
    »Tot! Ginevra?« fragten beide Eltern wie aus einem Munde.
    »Tot?« versetzt der blasse, entstellte Jüngling, »unerbittlich wie das Geschick und die Vergangenheit! In der vorigen Nacht ließ Ginevra mich zu ihrem unglücklichen Wochenbette rufen. Ich kam. Die Wärterin mußte hinausgehen. ›Lieber Lugi,‹ sprach sie, ›ich weiß, daß ich sterben muß, und wüßte ich es nicht, dein rotgeweintes Auge, dein liebes, gramzerstörtes Angesicht würde meinen Tod mir verkünden. –

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