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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Mutter wollten dazwischen treten. Bartholomeo warf sie zu Boden. Ginevra stand starr vor Schrecken, ihre Glieder schienen gelähmt.
    »Nein! Nein!« rief Bartholomeo und schleuderte das Messer rückwärts, daß es tief in die Balken fuhr. »Du sollst leben, zu gut für dich ist der Tod. – Meinen Feinden schneide ich die Gurgel ab, aber wenn sich mein eigen Blut und Fleisch empört wider mich, dem fluch' ich's tot! – Ja! ich bin ein Korse, bin Bartholomeo di Piombo und fluche dir, so lange ich Atem habe, und jeder Fluch soll dich empfänglicher machen für Entsetzen und Verzweiflung, und jeder Fluch soll mit neuem, scheusaligeren Schreck sich um dich lagern! – O all' ihr bösen Höllenmächte, heiligt diesen Augenblick des tödlichsten Hasses, nehmt ihn hin, er ist euer, und legt ihn dieser vatermörderischen Kreatur Tag und Nacht, schlafend und wachend, stets an die Seele, macht ihr Blut starren, sträubt ihr Haar zu Bergesspitzen auf, verwildert sie zum elenderen Jammerbild stündlich, wie in dieser Stunde, daß sie im lautlachenden Wahnsinn die Haare rauft, den nackten Schädel am ersten, besten Stein zerschlägt, dann versagt ihr stets die Mittel, die fluchwürdige Last des Daseins abzulegen! – Fort, mir aus den Augen, du Natter! du Seuche! du Hexe! du Pest! – O pfui! pfui! –«
    Der Alte hätte seinen Fluch noch nicht geendet, wenn nicht der jüngere Notar, empört über diese tierische Wut, Ginevra beim Arm aus dem Zimmer gezogen, die willenlos ihm gefolgt war, und draußen erst in einem Tränenstrom ihr Entsetzen lindern konnte.
     
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    Als sie in Luigis kleinem Gemach angelangt war, rief sie unter bangen Seufzern und Tränenströmen: »O Luigi! welch ein entsetzlicher Mensch ist mein Vater! o meine unglückliche, blödsinnige Mutter. – Wie konnte ich so lange mit diesen Leuten leben? Welch boshaftes Geschick gab mir solche Eltern? – Oh, ich fange an, den Glauben an einen guten Gott zu verlieren. Böse Geister ergötzen sich daran, unser Leben zu verwirren, daß Wahnsinn und Verzweiflung uns ergreift. Luigi! wärst du wie mein Vater! Betrögst du mich, wie er meine Mutter betrog! Luigi! wenn eben das in unserem Alter aus uns würde! O Gott! es wäre fürchterlich.«
    Lange dauerte es, ehe Luigi aus Ginevras unzusammenhängenden Reden den Grund ihres Entsetzens erfuhr. Als sie ihm endlich alles Vorgefallene, und was sie in den letzten Tagen erlitten, geklagt hatte, beruhigte er sie tröstend:
    »Gern wollte ich, du schmähtest mich, wüßte ich nur, daß es dir Erleichterung gewährte. Mißhandeln solltest du mich, mit Zärtlichkeit wollte ich es dulden, wenn du nur ein eigensinniges, verzärteltes Kind wärest, dem man auf solche Welse zu willen sein muß – das bist du nicht! Du bist Ginevra, die herrliche Jungfrau, die ich beim ersten Anblick anbeten mußte. Diese Tränen, dieser rücksichtslose Schmerz, diese innere Empörung gelten der Grausamkeit und Niedrigkeit, mit der man dich behandelt! Dein ahnungsloses Herz hätte das nimmer von einem Vater erwartet, den du sonst liebtest! Doch was muß ich sehen? Schon jetzt bist du beruhigt, beim ersten herzlichen Worte fand dein Geist sich selber wieder. O sieh, Ginevra! ich kenne dich und liebe dich, wie ich dich kenne; und glaube nur, ich gleiche dir und nicht deinen Eltern!«
    In der Tat war Ginevra beruhigt, zärtlich drückte sie Luigis Hand und sagte: »Dein bin ich auf ewig. Ich habe deinethalben Vater und Mutter verlassen und bereue es so wenig, daß ich es noch einmal täte, stände es noch einmal zu tun.«
    Die Liebenden besprachen darauf ihre zukünftige Einrichtung. Noch am selben Tage bezog Ginevra ein Zimmer in einem Hotel, um bis zu ihrer Vermählung es zu bewohnen.
    Am Morgen darauf sandte ihr die Mutter ihr Eigentum, ohne auch die mindeste Gabe zur Aussteuer ihrer Tochter hinzuzufügen. Ein beifolgender Brief benachrichtigte sie, daß dies das letzte sei, was sie für ihre Tochter tun könne und wolle, und sie habe ferner von ihren Eltern nichts mehr zu hoffen.
     
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    Drei Jahre waren seitdem verstrichen, Bartholomeo und seine Gattin saßen auf den großen Lehnstühlen, jeder in seinem Winkel, vor dem Kamin, dessen Glut das breite Zimmer nicht durchgehends erwärmte. Ein Freund war soeben von ihnen gegangen. Sein Sessel war nicht beiseite geschoben, es war Ginevras Sessel, und stand an Ginevras gewöhnlichem Platze, die beiden Greise saßen da, wie wieder kindisch gewordenes Alter, und blickten umher gedankenlos, als

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