Lebensbilder II (German Edition)
Emilie war ihrer Schwester gefolgt, minder aus Anhänglichkeit an ihren nächsten Verwandten, als des guten Tones halber, der jede vornehme Dame nötigt, im Sommer Paris zu verlassen.
Mit Recht darf man zweifeln, daß der Ruhm der Bälle von Sceaux sich über die Grenzen des Seine-Departements hinaus verbreitet. Diese wöchentliche Lustbarkeit verdient hier eine nähere Beschreibung, weil sie anfängt, der Schauplatz unserer Erzählung zu werden. Die Umgebungen der kleinen Stadt Sceaux gelten allgemein für malerisch und reizend. Nicht nur die Pariser halten sie dafür, die, wenn sie ihre unregelmäßige und unreinliche Stadt verlassen haben, jedwede freie Gegend bewundern dürften; sondern auch Reisende, Künstler und andere schwer zu befriedigende Kenner nennen die Gehölze von Aulnay malerisch, die Anhöhen von Antony und Fontenay aux roses lieblich und entzückend, vor allem aber geben die Pariser dem Aufenthalt zu Sceaux den Vorzug.
Mitten in einem Garten, von den lieblichsten Aussichten rings umgeben, befindet sich eine große Rotunde, von allen Seiten frei; die große und leichte Kuppel ist von schlanken und prächtigen Pfeilern gestützt. Dies ist der Tanzsaal. – Die angesehensten Bewohner der umliegenden Ortschaften begeben sich mindestens ein- bis zweimal während der Saison zu diesem ländlichen Tanzfeste. Glänzende Kavalkaden werden dahin angestellt, oder man fährt auch in leichten Sommerwagen von der mannigfaltigsten Gestalt und Bauart hin. Die Hoffnung, Damen aus der großen Welt zu sehen und von ihnen gesehen zu werden und reizende Bäuerinnen, ebenso verschmitzt wie die Städterinnen, dort anzutreffen, lockt alle Sonntage ganze Scharen von Jüngern der Themis und des Äsculap an; sowie auch von andern jungen Leuten, deren zarte, bleiche Gesichtsfarbe der Pariser Luft angehört. Viele bürgerliche Familien finden sich ebenfalls ein, um bei den ersten Tönen des Orchesters mitten in der Rotunde die Tänze zu beginnen. Welche Liebesabenteuer würde die Kuppel nicht berichten, wenn sie reden könnte! – Diese reizende Mischung aller Stände gibt jenen Bällen bei weitem den Vorzug vor den übrigen ländlichen Festen um Paris, abgesehen von dem schönen Garten, der reizenden Umgegend und dem lieblichen Tanzsaal.
Emilie äußerte zuerst den Wunsch, diesem Feste beizuwohnen. Sie versprach sich zwar wenig Vergnügen von der Gesellschaft, aber zum ersten Male sollte sie sich in solch ein Gewühl begeben, und man weiß, wieviel Vergnügen ein Inkognito den Großen gewährt. Sie freute sich indessen, ihre ganze höhere und feinere Bildung einmal vor einem fremden Kreise zu entfalten, und versprach sich, in mehr als einem unadligen Herzen das Andenken eines zarten Blickes und eines bezaubernden Lächelns zu hinterlassen. Schon im voraus lachte sie über die seltsamen Tänzer, welche dort voller Selbstbewußtsein ihre Künste produzieren würden, und spitzte schon ihre Bleifeder, um die lächerlichsten Gruppen nach der Natur in ihr Album einzutragen.
Voller Ungeduld harrte sie dem Sonntage entgegen. Die Gesellschaft machte an diesem Tage zu Fuße sich auf den Weg und ward vom herrlichsten Wetter auf diesem Spaziergang begünstigt.
Es überraschte Emilien nicht wenig, in der Rotunde ziemlich gute Gesellschaft zu finden, die ihre Quadrillen für sich bildeten. Zwar fehlte es unter den Anwesenden auch nicht an jungen Leuten, die ihr ganzes monatliches Ersparnis verwendet hatten, an diesem einen Tage zu glänzen; auch nicht an einzelnen Paaren, deren allzudreiste Zärtlichkeit kein eheliches Bündnis verriet. Emiliens satirische Laune fand jedoch nicht halb soviel Stoff, als sie sich versprochen. Zu ihrer Verwunderung glich dies Vergnügen in groben Kleidern gar sehr dem in Samt und Seide, und die bürgerlichen Tänzer taten es den Vornehmen gleich, wo nicht gar zuvor. Die meisten Anzüge waren einfach, aber kleidsam, und die obrigkeitlichen Personen, obgleich nur Bauern, hielten sich mit musterhafter Bescheidenheit in ihren Winkeln zurückgezogen und erwiesen den vornehmen Stadtgästen alle mögliche Ehre. Mehr als dies alles aber machte ein Gegenstand ihre Aufmerksamkeit rege von einer Art, wie sie hier zu finden schwerlich erwarten mochte. Es war ein junger, sehr bescheidener Mann, dessen Äußeres allen Vorstellungen, mit denen sie sich lange schon beschäftigt, zu entsprechen schien.
Emilie saß auf einem ländlichen, plumpen Sessel, wie man sie rings um den Tanzplatz aufgestellt findet, am äußersten
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