Lebensbilder II (German Edition)
Ende der Gruppe, die ihre Familie bildete, so daß sie ganz nach ihrem Gefallen aufstehen und sich entfernen konnte. Sie benahm sich auch vollkommen so, als ob sie sich auf einem Museum befände, betrachtete jede Gruppe, und selbst die allernächste, keck durch ihre Lorgnette und wandte sich gleich wieder, um Bemerkungen darüber zu äußern. Wenn wir in Emiliens Sinne das Fest mit einem Gemälde vergleichen wollen, so zog eine einzige Figur ihre Blicke mit einem Male ausschließlich auf sich. Der Maler schien diese aus besonderer Vorliebe im Vordergrund angebracht und ins beste Licht gestellt zu haben, weil sie sich auf ungewöhnliche Weise vor aller Umgebung auszeichnete.
Emilie wußte nicht, wo sie diesen Jüngling schon früher wahrgenommen. Er war träumerisch und ernst, lehnte sich in einer malerischen Stellung an eine der Säulen, welche die Kuppel stützte. Seine Stellung hatte indessen nichts Gezwungenes, vielmehr lag ein gewisser Stolz und Adel darin; sein dunkles Auge folgte einer Tänzerin, und er schien ganz in der Betrachtung derselben verloren; dichtes, schwarzes Haar fiel in anmutigen Locken auf seine hohe Stirn, in einer Hand hielt er Hut und Gerte, sein Wuchs war hoch und schlank.
Emilie erkannte auf den ersten Blick, daß seine Wäsche von ausnehmender Feinheit, seine hirschledernen Handschuhe bei Walker gekauft waren, und daß er sehr zierliche Stiefel vom allerfeinsten Leder trug. Er hatte keines jener übertriebenen Zierate an sich, womit ein Stutzer der alten Bürgergarde oder Kontor-Adonis zu prunken pflegt. Ein einfaches, schwarzes Band nur schlang sich um seine schneeweiße Weste, woran eine Lorgnette hing.
Emilie gestand sich, nie so lebendige Augen, von so langen Wimpern beschattet, gesehen zu haben; sein Mund war wie zum Lächeln geschaffen, ohne jedoch einmal dahin zu gelangen; es war gleichsam eine trauernde Anmut, die auf seinen Lippen schwebte. Schwermut und Empfindung malte sich in dem bleichen, aber männlichen Gesichte, und der strengste Beobachter konnte nicht umhin, anzunehmen, daß Geist und Witz dieser herrlichen Gestalt inwohnen, daß ferner irgendein besonderer Grund ihn zu diesem ländlichen Feste hergeführt haben mußte.
Emilie gebrauchte kaum zwei Sekunden, um alle diese Bemerkungen in der Stille zu machen, und nach dieser ebenso kurzen wie scharfen Prüfung blieb der Fremde der Gegenstand ihrer innigen und heimlichen Bewunderung. Sie dachte nicht – gewiß ist es ein Pair von Frankreich, sondern nur – ach! daß er doch von Adel wäre, er ist es sicherlich! –
Sie hatte diesen Gedanken kaum gefaßt, als sie sich erhob und, gefolgt von ihrem Bruder, dem Generalleutnant, sich der Säule nahte, an welche der Unbekannte sich lehnte. Mit besonderer Aufmerksamkeit schien sie die lustigen Quadrillen zu betrachten, aber durch ein optisches Kunststück, mit dem mehr als eine Dame vertraut ist, beobachtete sie in dieser Stellung genau die Mienen und Bewegungen des Fremden. Sie war ihm, scheinbar wider ihren Willen, immer näher getreten. Er entfernte sich artig, um den Neuhinzugekommenen seinen Platz zu überlassen, er lehnte sich an die nächste Säule.
Diese Höflichkeit verdroß Emilie, und in ihrem Unwillen darüber begann sie mit ihrem Bruder zu scherzen, erhob ihre Stimme viel lauter, als es schicklich war, bewegte ihr Haupt, gebärdete sich lebendiger und lachte mehr, als sie Ursache hatte; nicht sowohl um ihren Bruder zu unterhalten, als um die Aufmerksamkeit des fremden Sonderlings rege zu machen.
Aber keine ihrer reizenden Künste schlug auf ihn an. Emilie verfolgte daher mit ihren Augen die Richtung, die seine Blicke genommen, und entdeckte jetzt den Grund seines anscheinenden Kaltsinns.
Mitten in der Quadrille tanzte ein anmutiges, einfach gekleidetes, bleiches, junges Mädchen. Emllie glaubte anfänglich, in ihr eine junge englische Vicomtesse zu erkennen, welche seit kurzem ein benachbartes Landhaus bezogen.
Ihr Tänzer war ein junger Mensch von etwa fünfzehn Jahren, mit roten Händen, Beinkleidern von Nanking, blauem Frack und weißen Schuhen, woraus Emilie schloß, daß sie zu leidenschaftlich tanze, um in der Wahl des Tänzers besonders schwierig zu sein. Ihre Bewegungen hatten mit ihrer anscheinenden Schwächlichkeit nichts gemein; aber schon begann eine leise Röte ihre bleichen Wangen zu färben, und ihr Antlitz belebte sich mehr und mehr.
Emilie nahte sich der Quadrille, um die Fremde, sobald sie wieder auf ihren Platz zurückkam, von wo die
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