Lebensbilder II (German Edition)
Ihnen und nenne Sie: Schwester.«
Der Tanz war zu Ende: der Diplomat führte Emilie zu ihrem Oheim zurück. Das Mißverständnis war nun freilich gehoben, aber keiner der Liebenden wollte den ersten Schritt zur Versöhnung tun.
Um zwei Uhr morgens trug man in einer weitläufigen Galerie das Abendessen auf. Die Tische standen für jede Gesellschaft einzeln gedeckt, so daß mehrere Personen sich abgesondert von den übrigen nebeneinander setzen konnten.
Der Zufall, der Liebende nicht selten begünstigt, wollte, daß Maximilian Longeville in Emiliens Nähe an einem Tische Platz nehmen mußte. Vielleicht war es auch die Wirkung der Reize Emiliens, die als Königin des Festes die angesehensten Personen in ihre Nähe zog, zu denen Maximilian gehörte. Sie lauschte sorfältig auf alle Gespräche, die man am nächsten Tische führte, und so behorchte sie eine Unterredung, wie sie zwischen einer dreißigjährigen Dame und einem Jünglinge, wie Maximilian, sich leicht anspinnt.
Eine neapolitanische Gräfin war nämlich die Tischnachbarin des letzteren, deren feurige Augen ziemlich gefährliche Blitze schleudern mochten, zumal da die Gräfin mit südlichen Reizen eine glänzende und zarte Haut verband. Um so mehr beleidigte die Vertraulichkeit, die sie sich gegen ihren Führer erlaubte, Emilien, weil diese heute Ursach gefunden hatte, ihrem ehemaligen Geliebten neue Achtung zu zollen.
»Ja! mein Herr!« sprach die Neapolitanerin mit beredten Blicken, »bei mir zulande offenbart sich wahre Liebe in gänzlicher Aufopferung.«
»Oh! daß auch unsere Damen so dachten,« seufzte Maximilian mit einem Seitenblick auf Emilie, »ach nein, sie lieben sich selbst mehr als alles.«
»Mein Herr!« wandte sich Emilie plötzlich, »Sie tun übel. Ihre Landsmänninnen auf solche Weise zu verleumden. Es gibt deren, die wahre Gefühle hegen.«
»Denken Sie,« fragte die Gräfin, »daß eine Französin imstande wäre, ihrem Geliebten überall hin zu folgen, wohin es auch sei, daß er entfliehen möchte?«
»Verstehen wir uns! Madame,« versetzte sie. »Kein Mädchen darf auf Kosten ihres Herzens einen ehrlosen Schritt begehen. Sie folgt ihrem Geliebten in eine Hütte, in eine Wüste, aber nicht – «
»Wohin zum Beispiel nicht?«
»Zum Beispiel, in keinen Laden, Madame, wenn die Geliebte von Adel ist.«
»Freilich,« versetzte die Gräfin, »es wäre eine harte Probe, aber sollte Liebe nicht diesen Sieg erreichen?«
»Gewiß nicht! Gesetzt, ein Geliebter würde ungetreu, so besitzt Liebe Selbstüberwindung genug, um es zu vergeben, wenn der Gegenstand ein würdiger ist. Die Rückkehr des Geliebten wäre ein Triumph für die Geliebte. Aber ein Liebender runzelt die Stirn, spielt den Geheimnisvollen, man sucht, ihn zu erforschen. Er schweigt hartnäckig! Natürlich schämt er sich zu gestehen, was er sei, in der Gesellschaft, in der er sich befindet. Endlich, überrascht man ihn, entdeckt die Falten seines Herzens. Man findet ihn beschäftigt mit einer Nebenbuhlerin, und wer ist diese Nebenbuhlerin? – Eine Elle. – Ich bitte Sie, Madame, möchten Sie für eine Elle irgend etwas opfern?«
Die Gräfin lachte. »Eine Elle? freilich da haben Sie recht! Dies ist eine unerträgliche Nebenbuhlerin. Ich möchte um alles in der Welt keiner Elle aufgeopfert werden, denn allerdings gilt einem Kaufmann die Elle mehr als seine Gattin, ja, die halbe Elle, die viertel Elle von einem kostbaren Zeuge ist ihm lieber als der vollkommenste Beweis der Zärtlichkeit seiner Geliebten, wenn er ein echter Geschäftsmann ist. – Aber wozu solche Gespräche in einer Gesellschaft wie die unsrige?«
Man erhob sich vom Tische. »Mein Fräulein!« hob Maximilian an, fast weinend, »vergönnen Sie mir wenigstens. Ihnen Lebewohl zu sagen.«
»Wozu?«
»Niemand wird heißere Wünsche für Ihr Glück hegen als ich, obgleich Sie mich mehr gekränkt, als Sie je im Leben einen anderen werden kränken können.«
«Wollen Sie Paris verlassen?«
»Meines Bleibens ist hier nicht, ich will nach Italien.«
»Mit einer Gräfin vermutlich?«
»Mit einer tödlichen Herzenswunde!«
»Maximilian!«
»Ich sage Ihnen ewig Lebewohl!«
»Ich vergebe Ihnen!«
»Es gibt Wunden, für die keine Heilung ist!«
»Sie werden nicht reisen!«
»Ich habe Ihre Verachtung nicht verdient, ich reise!«
»Bei Ihrer Rückkehr bin ich verheiratet.«
»Oh! daß Sie das Glück finden möchten, welches ich Ihnen zu schaffen, für das schönste Ziel meines Lebens gehalten
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