Lebensbilder II (German Edition)
hatte.«
»Reisen Sie! wir verstehen uns nicht!«
»Sie sollen mich einst achten müssen, wenn Sie mich auch nicht mehr lieben können.«
»Ich weiß nicht, mein Herr, welche Zumutungen Sie hegen! Ich wünsche Ihnen glückliche Reise!«
So schieden die, welche sich ehemals zärtlich geliebt, voneinander, und Maximilian reiste mit seiner Schwester nach Italien. –
Sein Bruder indessen, minder nachsichtig als er, beschloß, die peinlichste Rache an der Grausamen zu nehmen. Er machte die Gründe bekannt, aus welchen dies Paar miteinander gebrochen hatte, und nötigte damit mancher Exzellenz ein Lächeln ab. Er schilderte mit vielem Witze die Kontorfeindin, die Amazone, welche gegen alle Handlungsdiener Kreuzzüge predigte, die Dame, deren Liebe vor einer Musselin-Fahne zerstob u.s.w. Der Graf Fontaine sah sich endlich genötigt, auf die Entfernung dieses Feindes seiner Tochter zu dringen, und Augustin Longeville erhielt eine Mission nach Rußland. – Dort konnte er das Klima nicht ertragen und starb bald darauf, gleichsam zur mittelbaren Strafe seiner bösen Zunge.
Nach Verlauf einiger Jahre sah sich das Ministerium genötigt, eine Aushebung von Pairs zu veranstalten. Longeville ward Pair und Vicomte, auch der Graf von Fontaine erhielt diese Würde zum Lohn seiner unerschütterlichen Treue und aus Achtung vor dem guten Adel seines Hauses.
Emilie war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ihr Benehmen hatte sich sehr geändert. Statt mit ihrem alten Oheim sich zu necken und zu zanken, erwies sie ihm die höchste Sorgfalt und Pflege.
Sie brachte ihm mit einem rührenden Ernste seine Krücken, bot ihm den Arm, folgte ihm, wohin er ging und fuhr, ertrug den Rauch seiner Pfeife, las ihm die Gazette de France vor, lernte ihm zuliebe Pikett, hörte der Erzählung seiner Kriegstaten mit ernsthafter Geduld stets von neuem zu. Mit einem Worte, obschon er behauptet hatte, sich nicht mehr von einem jungen Mädchen kapern zu lassen, ward dennoch eines Tages in den Pariser Salons die Verlobung des Fräuleins Emilie von Fontaine mit dem Kontre-Admiral von Cargarouet als Neuigkeit erzählt.
Die junge Gräfin gab glänzende Feste und blieb stets die Königin derselben. Oft entfernte sich ihr Gemahl, wenn das lärmende Orchester in vollem Gange war, und sagte scherzend: »Wer hätte wohl gedacht, daß ich zu fünfundsiebzig Jahren noch als Steuermann der schönen Emilie unter Segel gehen würde?«
Zwei Jahre nach der Hochzeit befand sich die Gräfin, in voller Blüte der Schönheit und von einem Putze strahlend. worin alle Reichtümer beider Indien vereint schienen, in den altertümlichen Sälen der Faubourg St. Germain, als ein Lakei mit lauter Stimme den Herrn Vicomte von Longeville ankündigte. Niemand merkte Emiliens Erschütterung. Sie saß bei einer Partie Pikett, als Maximilian, in aller Blüte der Kraft und Männlichkeit, eintrat. Der Tod seines Vaters und seines Bruders hatte ihm die Pairschaft verliehen.
Seufzend blickte sie auf das graue Haupt ihres Gatten, welcher, seinen Worten nach, sich noch lange an Bord zu halten gedachte.
»Schöne Dame!« sprach der Geistliche, der mit ihr Karten spielte, »weil Sie den Coeur-König abgeworfen, habe ich gewonnen. Aber Ihr Geld soll Sie nicht gereuen, denn jeden Gewinst schenke ich meinen kleinen Seminaristen.«
Dritter Teil
Erstes Bild
Die tugendhafte Frau
Rue de Tourniquet St. Jean war noch vor fünf Jahren die unregelmäßigste und finsterste im ganzen Viertel um das Hotel de Ville. – Ihren Namen verdankte sie einem Drehkreuz am Eingang derselben. Erst im Jahre 1823 ward es weggenommen, weil man einen Ballsaal erbaute zur Feier der Rückkehr des Herzogs Angoulème aus Spanien.
Die größte Breite dieser Straße betrug, an der Ecke der Rue de la Trixanderie nämlich, nur fünf Fuß. Bei Regenwetter überströmte sie das Wasser dermaßen, daß kein Fußgänger einen trocknen Pfad fand, und schwarze Fluten, wie die des Kozytus, durch die Enge der Mauern wogten und den Unrat, der aus allen Häusern nur vor die Tür geworfen wurde, hinwegspülten.
Bei der heißesten Julisonne fiel mittags nur ein schmaler, goldener Streif auf die Straße. Im Juni mußten die Bewohner dieser Häuser schon um fünf Uhr ihre Lämpchen anstecken, die im Winter nie erloschen.
Ehe das Eckhaus der Rue de Tourniquet und de la Trixanderie eingerissen wurde, bemerkte man zwei eiserne Ringe in der Mauer befestigt. Es waren die Überbleibsel einer Kette, womit die Straße zur Sicherheit nächtlich
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